Coney Island Baby

Kunst und Porno

In dem Comic «Coney Island Baby» kreuzen sich die Lebenswege der Pin-Up-Ikone Bettie Page und des Pornostars Linda Lovelace. Leider funkt der Playboy-Gründer Hugh Hefner dazwischen.

Pornografie ist ebenso allgegenwärtig wie ambivalent. Frauen erscheinen im Mainstreamporno als Objekte von Ausbeutung und Erniedrigung. Wenn Pornografie aber nicht nur die ewige Vermarktung des Immergleichen ist, kann sie auch Selbstverwirklichung sein. Die Geschichte des zur Schau gestellten Körpers verläuft zwischen diesen beiden Wegen, was auch ein Comic zeigt, der sich nun diesem Thema annimmt.

 

Die junge französische Zeichnerin Nine Antico nimmt sich in ihrem deutschen Debütalbum «Coney Island Baby» (Edition Moderne, zirka 26 Euro/36 Franken) der Lebensgeschichten von Bettie Page und Linda Lovelace an. In einem Abstand von rund zwanzig Jahren standen die beiden Frauen jeweils an einem Wendepunkt, was die gesellschaftliche Akzeptanz des zur Schau gestellten Körpers angeht. Die Posen der Bettie Page wurden in den 1950er-Jahren zum Inbegriff der Pin-Up-Kunst. Linda Lovelace spielte die Hauptrolle in «Deep Throat» (1972), worin sich die Klitoris der Heldin in ihrem Rachen verbirgt. Der Porno spielte angeblich 600 Millionen Dollar ein. Um beider Schicksale zusammenzuführen, tritt Hugh Hefner als Erzähler auf. Der Gründer des «Playboy» berichtet zwei Anwärtinnen auf einen Platz in der Playboy Mansion aus dem Leben der Sex-Ikonen. Seine kurze Geschichte der amerikanischen Sexindustrie beruht auf dokumentarischen Quellen, die fiktive Rahmenhandlung dient dazu, die Etappen der amerikanischen Körperkultur historisch aufzuarbeiten.

Unschuldige Aktversuche

Die leibhaftigen Männerfantasien Bettie Page und Linda Lovelace wirken selbst in expliziten oder drastischen Szenen wie unschuldige Aktversuche. Es gehört zum Handwerk von Comiczeichnern, Körper in Flächen und Linien zu zerlegen, aber gerade hier hätte ein wenig mehr Naturalismus dem Leser die Sache wesentlich anschaulicher gemacht. Das hat immerhin den Vorteil, dass wir nicht von unserer visuellen Sensationsgier abgelenkt werden. Es geht dabei aber auch das Eigentliche der Geschichte verloren: Warum wirkten gerade diese Frauen so, wie sie es in ihrer Zeit taten?

 

Die Stärke des Doppelporträts besteht darin, dass Bettie Page und Linda Lovelace tatsächlich die beiden Pole der pornografischen Darstellung verkörpern: Die Eine suchte nach einem authentischen Ausdruck für ihr Körper- und Schönheitsgefühl, die Andere bediente das Überbietungsprinzip, das die Extreme des Sex auslotet.

 

Linda Lovelace geriet zur ersten populären Vertreterin der pornografischen Massenware, wie wir sie heute kennen, in der beim Sex problemfrei Leistung gezeigt wird. Sobald sie aufhörte, zu tun, was von ihr erwartet wurde, begann ihr Stern zu sinken. Künstler und Intellektuelle interessierten sich durch «Deep Throat» in den Siebzigern ebenso für Pornografie wie die Upper Class. Ralph Blumenthal von der New York Times nannte diese neue Attitüde «porno chic». Dieser Porno-Chic existiert heute in der Werbung, wo er Alltagsgesten und Alltagsgegenstände sexuell auflädt.

 

In den 1970er-Jahren konnte das zumindest noch als Emanzipation gemeint sein: als Entdeckung der eigenen Sexualität und ihrer Bedeutung in der Gesellschaft. Bettie Page ist nicht allein die Urahnin der überstilisierten Fetischerotik, wie sie beispielsweise durch Dita Von Teese populär geworden ist. Obwohl sie Pornografie ablehnte, kann man sie als Vorreiterin des Pro-Sex-Feminismus betrachten. Pro-Sex-Feministinnen stellen sich hinter diejenigen, die im Sexmilieu arbeiten und behandeln sie nicht grundsätzlich als Unterdrückte. Sie betrachten Sex als ein Ausdrucksmittel unter anderen, dessen man sich aus freien Stücken bedienen kann. Es geht ihnen darum, sich wieder des eigenen Körpers zu bemächtigen.

Jameson statt Hefner

Hugh Hefner übernimmt im Comic den Part der allwissenden Erzählfigur. Er referiert den beiden Mädchen aus den Lebensgeschichten der Sexikonen, damit sie wissen, welche Schicksalsschläge und Gefahren sie im rauen Sexbusiness erwarten könnten. Sie hören, wie Bettie Pages Fotokarriere zu Ende ging, als die amerikanischen Sittenwächter auf ihre Bondage-Fotos aufmerksam wurden. Und sie hören, dass Linda Lovelace vergeblich darum kämpfte, ernst genommen zu werden, bevor sie zu einer radikalen Feministin wurde und erklärte, bei «Deep Throat» vergewaltigt worden zu sein.

 

So sicher sich Nine Antico bei der Auswahl ihrer Repräsentanten zeigte, so sehr lag sie bei ihrer Erzählfigur daneben. Zwar posierten beide Frauen für den «Playboy», für beider Karrieren spielte das aber nur eine Nebenrolle. Der Comic reproduziert genau das Image, das Hefner werbewirksam von sich entwarf, indem er sich als wohlmeinenden Papa ausgeben darf, der sich um seine blonden Häschen kümmert. Er unterweist in dem fiktiven Teil seine Bunnies in spe nicht nur fürsorglich, sondern verschafft der alternden Bettie Page auch noch ein Gnadenbrot. Seine heutige Existenz als Mittelpunkt der trashtriefenden Doku-Soap «The Girls of the Playboy Mansion» kommt nicht vor.

 

Eine Frau wie Jenna Jameson, die im Pornogeschäft heute vollständig über die Bilder von sich herrscht, wäre eine bessere Vermittlungsinstanz gewesen. Bettie Page stieß an die Grenzen dessen, was einer selbstbewussten Frau zu ihrer Zeit erlaubt war. Linda Lovelace hielt sich für den kommenden Weltstar, weil sie glaubte, dass die Pornographie massentauglich geworden wäre. Das erzählt der Comic so, dass die Persönlichkeiten der beiden Frauen schemenhaft hervorschimmern. Dabei liest er sich aber wie eine akademische Trockenübung, bei der die buchstäblich körperliche Dimension des Ganzen keine sichtbare Rolle spielt. Was allerdings gerade bei diesem Konzept völlig fehlt, das ist die Brücke zur Gegenwart, durch die wir erfahren könnten, wie es inzwischen mit der Körperkultur zwischen Selbst- und Fremdbestimmung bestellt ist.

 

Waldemar Kesler, im Juni 2011

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