Comix-Festival Fumetto Luzern

Unzählige Gesichter und dreckige Unterwäsche

Erstmals sind am Fumetto japanische Künstler zu Gast. Yuichi Yokoyama und Daisuke Ichiba fallen durch ihre eigenwilligen Stile auf.

Die stickige, heisse Luft lässt den weissen Raum fast surreal erscheinen. Gut 80 Personen haben sich in den relativ kleinen Ausstellungsraum von Yuichi Yokoyama im Kunstmuseum Luzern eingepfercht. Es ist Donnerstag, der 2. April 2009, 16 Uhr. Kurz vor Beginn der Zeichenperformance.

 

In einem knappen, rund viertelstündigen Einführungsgespräch gibt Yokoyama einige Hintergrundinformationen zu seinem Werk. Der Comic-Künstler betont, dass sein Ziel sei, das Phänomen Zeit bildlich einzufangen. Leicht desinteressiert erläutert der lässig in Jogginghose und Shirt erschienene Japaner Anfang vierzig seine Arbeitsweisen, verrät unter anderem, dass er immer zuerst die Gesichter zeichnet und dann erst das Ganze drum herum. Diese sind auch Gegenstand seiner Zeichenperformance: Auf die Vor- und Rückseite eines Plakats sollen Gesichter-Variationen seiner Figuren gebannt werden. Wer dafür eine hochtrabende und geistreiche Erklärung vom Künstler erwartete, wurde enttäuscht. Die Wahl von Gesichtern begründet Yokoyama lapidar: «Sie sind am einfachsten zu zeichnen.»

Eine Schar Jünger und Videokameras
In gleichmässigen Reihen füllt er das weisse Blatt nach und nach mit kuriosen Konterfeis. Dabei spielt er wie gewohnt mit geometrischen Formen und architektonischen Themen. So entstehen seine typischen Kugelköpfe mit den überproportionalen, kegelartigen Nasen und die Hybriden, die irgendwo zwischen Gesicht, Haus und Fenster einzuordnen sind. Zu Beginn hat er mit Anfangsschwierigkeiten zu kämpfen, ihm gelingen die Figuren nicht auf seinem gewohnten Niveau. «Nur mit der zweiten Seite bin ich richtig zufrieden», wird er später sagen.

 

Der Grossteil des Publikums machte einen seltsam ehrfürchtigen Eindruck. Lautlos folgt es wie eine Schar Jünger jedem Pinselstrich des Meisters. Einige Kunststudenten zeichneten sogar das Gemalte eifrig in ihr Skizzenheft ab. Ebenfalls beeindruckend ist das Medieninteresse. Nicht weniger als drei Schulterkameras und ebenso viele Mikrofone zählt man beim Anlass. Die andächtige Atmosphäre wird durch eine Schrecksekunde gestört. Daisuke Ichiba, der andere Künstler aus Japan, zeigt sich gegenüber der Performance seines Kollegen sichtlich ungeduldig und beginnt kurzerhand auf dem Plakat die Kreise für die Gesichter vorzuzeichnen. Die Zuschauer quittieren die Aktion mit einer Mischung aus nervösem Lachen und entrüsteten Raunen.

 

Nach Beenden seiner Zeichnung wird Yokoyama von einem Tross britischer Medienschaffenden belagert, die immer noch der tiefen Überzeugung sind, dass mittlerweile jeder Mensch auf der Welt irgendwie Englisch spricht. Auf ihre Fragen ernten sie von ihm kaum mehr als ein Lächeln und regelmässiges Kopfnicken.

Intime Kindheitserinnerungen

Rund 50 Personen besuchten den darauf folgenden Anlass: Ein Referat, bei dem Daisuke Ichiba, der Störenfried von vorher, biografische Hintergründe seiner Kunst enthüllt. Der grimmige Mittvierziger mit rasiertem Schädel wirkt in seinem dunklen Outfit wie eine Gestalt aus der Halbwelt, die zum Existenzialismus konvertiert ist.

 

Im Vortrag verrät er im Vortrag Handwerkliches, etwa dass er an einem Bild durchschnittlich zwei Tage lang arbeitet, und gibt offenherzig intime Details preis. Auch Einzelheiten über den Krebstod seiner Mutter, als er gerade einmal sieben Jahre alt war, werden nicht ausgespart. Ichiba weist auch den Vorwurf zurück, dass er mit seinen blutrünstigen Szenen und brutalen Bildern nur Aufsehen erregen will. «Hässliches gehört zur Realität – wer das nicht anerkennt, blendet die Hälfte der Wirklichkeit aus», sagt er. Ichiba betont, dass er etwas Schönem immer auch etwas Unschönes gegenüberstellen muss, um eine Balance herzustellen. Etwas unbeholfen versucht er das in gebrochenem Englisch mit der Metapher einer «beautiful lady with dirty underwear» auszudrücken. Am Schluss des Referats wünscht Ichiba sich ausdrücklich Meinungen zu seinem Werk aus dem Publikum. Eine Besucherin versucht Ichibas Kunst in einigen Worten zusammenzufassen. Sie kommt zum treffenden Schluss, dass seine Bilder faszinieren, weil sie gleichzeitig anziehend und abstossend sind. Ichiba fühlt sich durch das Statement vollkommen bestätigt und beendet seinen öffentlichen Auftritt mit folgender, euphorischen Reaktion auf die Rückmeldung der Besucherin: «You are beautiful girl. You will have happy life. CLEAN UNDERWEAR!»

 

Sasa Rasic, im April 2009

 

Zum ausführlichen Interview mit den beiden Künstlern »

 

Informationen und Video mit Impressionen zu «Travel» von Yuichi Yokoyama »

 

Webseite von Daisuke Ichiba »

Kommentar schreiben

Kommentare: 0