Spiegelman-Werkschau

Im Schatten der Maus gefangen

Der Autorname Art Spiegelman ist nach wie vor äusserst stabil mit dem Holocaust-Comic «Maus» verbunden. Und daran dürfte sich – wenigstens im deutschsprachigen Raum – wohl auch in Zukunft nichts ändern.

«Maus», das mehrfach preisgekrönte 300-seitige Werk in zwei Teilen aus den Jahren 1986/91, das mit cartoonartigen Tierfiguren das schwierige Thema Auschwitz aus Sicht der Opfer aufarbeitet, ist nach wie vor singulär in der Geschichte der Graphic Novels im Besonderen und des Comics im Allgemeinen. Allzu oft geht dabei vergessen, aus welcher Ecke der 1948 als Sohn von Shoa-Überlenden geborene Spiegelman kommt. Nämlich aus derjenigen des Underground-Comix ganz im Stile etwa eines Robert Crumb («Fritz the Cat»). Dies vergegenwärtigt «Breakdowns – Porträt des Künstlers als junger %@&*!» überdeutlich (S. Fischer, zirka 50 Franken).

 

Arbeiten aus den wilden 70ern

Der grossformatige Band beinhaltet zum einen das bereits 1978 zum ersten Mal publizierte «Breakdowns – Von Maus bis heute» quasi als Buch im Buch, daneben einen autobiografischen Comic aus neueren Tagen sowie ein Vorwort und ein mit allerlei Material angereichertes Nachwort des in Stockholm geborenen Spiegelman. Das ursprüngliche «Breakdowns» enthält allesamt kurze Arbeiten von 1972-77. Hier sticht vor allem die dreiseitige Urfassung von «Maus» heraus, in dessen stilisiertem Zeichenstil der Übervater Crumb (und damit indirekt auch Walt Disney) stark sichtbar wird. Nachdenklich macht die kafkaeske Erzählung «Gefangener auf dem Höllenplaneten», in der Spiegelman in holzschnittartiger Grafik den Selbstmord seiner Mutter verarbeitet – und sich von Selbstvorwürfen zernagt quasi selber als Täter darstellt.

 

Und auch sonst deutet alles auf einen experimentierfreudigen jungen Mann hin, der sich auf hohem Reflexionslevel und immer wieder ironisch durchbrochen mit seiner jüdischen Glaubenszugehörigkeit, seinem Künstlerdasein und allgemein seiner Identität und Rolle als Mann auseinandersetzt. Dabei werden die Möglichkeiten des Mediums grösstmöglich ausgereizt – auch intertextuelle Elemente kommen nicht zu kurz, die Spiegelman als kunstversierten Menschen zeigen, der offen für Einflüsse ist und diese im Stil der Bricolage mit seinem eigenen Werk zu etwas Neuem verwebt.

 

Nabelschau auf hohem Niveau

An diesen Zutaten hat sich auch 30 Jahre danach nichts geändert, wie der vorangestellte 19-seitige Comic zeigt, in dem der heute als Familienvater in Manhattan lebende Spiegelman sein Leben und seine Passion zur neunten Kunst Revue passieren lässt. Man mag ihm Nabelschau und auch Recycling vorwerfen – doch dafür ist die Qualität schlichtweg zu gut.

 

Eine Frage lässt das Kompendium jedoch offen: Weshalb hat man von einem derart talentierten Künstler nach «Maus» so lange nichts mehr gehört? Erschienen ist zwar in deutscher Übersetzung schon das eine oder andere – im Gegensatz zu «Maus» ist jedoch beinahe alles schon längst vergriffen und nur noch schwer erhältlich. So wurde etwa im Jahr 2003 die Sammlung «Küsse aus New York» veröffentlicht, welche die oft kontrovers diskutierten Titelarbeiten für das wöchentlich erscheinende Magazin «The New Yorker» enthält. Zudem sind zwei Bände von «Little Lit» – Neuinterpretationen von Märchen verschiedener Künstler unter der Federführung Spiegelmans – sowie das Kinderbuch «Schlag mich auf… Ich bin ein Hund!» publiziert worden.

9/11-Werk (nicht) auf Deutsch

Wer glaubt, dass dies der einzige künstlerische Ausstoss des Pulitzer-Preisträgers gewesen sei, irrt gründlich. Nur hat hierzulande keine seiner sonstigen Publikationen den Weg ins Bewusstsein einer breiten Leserschaft gefunden. Auch Spiegelman selber scheint unter dieser «Maus»-Fixation zu leiden: «Uff! Es hat keinen Zweck… Wie weit ich auch renn, ich komm nicht aus dem Schatten dieser Maus raus», lässt er sein Alter Ego in Sprechblasen sagen.

 

Ein weiterer «Schatten» böte sich an, um Spiegelman aus dieser Bindung wenigstens teilweise zu befreien: «In the Shadows of No Towers», ein eindringliches Werk, in dem dieser einerseits konkret auf den 11. September 2001 eingeht und andererseits darauf, was für Folgen dieses einschneidende Ereignis für ihn selber und für die amerikanische Bevölkerung gehabt hat. Paradoxerweise ist dieser Strip zwar zunächst exklusiv (!) in Tranchen in der deutschen Wochenzeitung «Die Zeit» unter dem Titel «Im Schatten keiner Türme», jedoch im Gegensatz etwa zum englischsprachigen oder französischen Raum bislang nicht in Buchform erschienen.

 

Ware in derselben Lage

«Maus», das keine Patina ansetzen wird, soll immer und immer wieder in neuen Auflagen auf den Markt geschwemmt werden – daran kann nichts auszusetzen sein. Doch ähnlich wie bei Chris Ware, einem weiteren herausragenden, hochgelobten und hierzulande trotzdem grob vernachlässigten amerikanischen Künstler (eine Übersetzung von «Jimmy Corrigan» ist bei Reprodukt übrigens schon seit längerer Zeit projektiert), wäre es an der Zeit, Spiegelmans Oeuvre möglichst vollumfänglich auch für die deutschsprachige Leserschaft zugänglich zu machen. Es wird sich zeigen, ob in näherer oder fernerer Zukunft jemand das gewiss bestehende verlegerische Risiko auf sich zu nehmen bereit sein wird.

 

Dave Schläpfer, im Dezember 2008

 

Profil von Art Spiegelman auf der Site des von ihm Anfang der 80er-Jahre initiierten Magazins «Raw» »

 

Ausführliche Besprechung von «In the Shadow of No Towers» »

Kommentar schreiben

Kommentare: 0