Tardi: Krieg und Krimis

Bildergeschichten gegen das Grauen

Im Juni wird der französische Comic-Künstler Jacques Tardi für sein Lebenswerk mit dem Max-und-Moritz-Preis ausgezeichnet. Ein Überblick über sein vielschichtiges OEuvre.

Das Werk des 1946 im französischen Valence geborenen Comic-Künstlers Jacques Tardi ist für den Neueinsteiger inzwischen kaum noch überblickbar. Zudem sind verschiedene Teile vergriffen oder bislang nach wie vor nur auf Französisch erhältlich.

 

Zu den knapp 30 Einzelbänden, die Tardi in der Tradition des europäischen Autorencomics komplett im Alleingang getextet und illustriert hat, kommen noch 16 Bände dazu, in denen Tardi entweder den Part des Zeichners oder des Szenaristen übernommen hat. Zudem sind vom Comic-Künstler, der mit 28 Jahren zum ersten Mal einen Comic veröffentlicht hat, fünf Romane illustriert worden. Zusätzlich hat Tardi im Jahr 1990 sein Romandebüt «Rue des Rebuts» vorgelegt.

 

Eine Stärke und Eigenart Tardis stellt sicherlich die Arbeit mit anderen Künstlern und Stoffen dar. Sehr vereinfacht gesagt, könnte man sein auf Deutsch vom Zürcher Verlag Edition Moderne herausgegebenes Werk in zwei thematische Bereiche einteilen.

 

Zwischen Realismus und Fantasie

Zum einen sind da exemplarisch die brillante Krimi-Serie um die Figur des Detektivs Nestor Burma und der im Bereich des Fantastischen angesiedelte Zyklus «Adeles ungewöhnliche Abenteuer » zu nennen, in dem es von kruden Charakteren und mysteriösen Gestalten nur so wimmelt. So muss sich die Titelheldin im Paris der Belle Epoque etwa mit Flugsauriern, Affenmenschen und lebenden Mumien herumschlagen. Der scheinbar seichte Inhalt täuscht freilich nicht darüber hinweg, dass selbst Adeles Abenteuer keine leichte intellektuelle Kost für den Leser darstellen: Nur mit genügend Ausdauer und Offenheit, was die zunächst doch zuweilen recht gewöhnungsbedürftige grafische Gestaltung betrifft, wird es gelingen, sich im Tardi’schen Universum letztlich heimisch fühlen zu können.

Paris atmosphärisch verdichtet

Dasselbe gilt für die Nestor-Burma- Abenteuer, welche als das Resultat einer Befruchtung von Literatur und Comic auf hohem Niveau betrachtet werden können. Tardi hat bislang einen Drittel der insgesamt 15 Burma-Kriminalromane des inzwischen verstorbenen Anarchisten, Surrealisten und Schriftstellers Léo Malet als recht textlastige Bildergeschichten adaptiert. Malet zeigte sich nach anfänglicher Skepsis mehr als zufrieden mit Tardis Arbeit: «Die Intensität, der Zauber der Zeichnungen, der nostalgische Charme des Dekors, dessen Realismus paradoxerweise das fantastische Element noch bestärkte – all dies überzeugte mich davon, dass Tardi ein Zeichner ganz nach meinem Herzen war.»

 

Am Beispiel des bekanntesten und gerade wiederveröffentlichten Bandes «120, Rue de la Gare» lässt sich sehr schön aufzeigen, wie viel Wert Tardi auf die korrekte Darstellung der Schauplätze legt. Hier ist wie in vielen andern Bänden Paris Ort der Handlung. Tardis Verliebtheit in architektonische Details geht zum Glück nie auf Kosten des Plots, sondern dient der Verdichtung der Atmosphäre.

Das Elend in den Schützengräben

Während bei Burma und Adele Gewalt nur punktuell und im kriminalistischen Kontext zum Zug kommt, ist der andere Teil des Werks Tardis voll von Bildern des Schreckens (etwa in «Grabenkrieg », «Soldat Varlot»). Szenen aus dem Ersten Weltkrieg: Granatsplitter, Blutlachen, abgetrennte Gliedmassen, das Schreien Erblindeter. Zwar keine wirklichen, aber mögliche Szenen. Sehr wahrscheinliche dazu. Mit dem Auge des Künstlers arrangiert. Eingefangen in Grautönen im weiterentwickelten Stil der «ligne claire» (klare Umrisse der Figuren), die der belgische Autor Hergé mit «Tim und Struppi» begründet hat.

 

Man könnte einwenden, dass Tardi damit jene traumatischen Bilder natürlich weitertransportiere. Dies lässt sich mit einem Bildmedium schlecht verhindern. Und natürlich entbehren die Panels nicht einer gewissen Ästhetik. Doch es handelt sich hierbei um eine dokumentarische Qualität. Der Verdacht einer Verherrlichung keimt zu keiner Zeit auf: Denn Tardi lässt in seinen Antikriegs-Comics keinen Raum für ein wie auch immer geartetes Heldentum, sondern schildert nur Elend und Verzweiflung: «Mein Interesse gilt dem einfachen Mann, gleich welcher Hautfarbe oder Staatsangehörigkeit, dem Menschen, über den man verfügt, dessen Leben nichts zählt in den Händen seiner Herren», erklärt Tardi.

 

Autobiografische Hintergründe

Die zentrale Stellung des Ersten Weltkriegs in Tardis Werk hat autobiografische Gründe. Sein Grossvater hat das Elend in den Schützengräben erlebt – und später nie darüber gesprochen. Tardis Vater hat im Zweiten Weltkrieg ähnliche Erfahrungen machen müssen und war Kriegsgefangener in einem Straflager in Ostpommern. Interessant und in ambivalentem Licht erscheint aber der Umstand, dass dieser nach der Befreiung aus dem Lager und einem Studium wieder zur Armee zurückgekehrt ist. Weil er unweit von Köln stationiert war, verbrachte der kleine Tardi zwei Jahre im zerstörten Deutschland. Auch seine eigene Wehrzeit in den Siebzigerjahren hat Tardis strikte Antikriegshaltung geformt und gefestigt: «Meine Militärzeit war vertane Zeit und nur zu einem gut: die Unterdrückung kennen und verachten zu lernen.»

Comic über die Pariser Kommune

Auch in seiner aktuellsten Graphic Novel «Die Macht des Volkes» befasst sich der inzwischen 60-jährige Künstler mit den Themen Freiheit, Autorität und (Staats-)Gewalt: In einem Geflecht von Faktion und Fiktion erzählt er nach einem Roman von Jean Vautrin von den Pariser Wirren im März 1871 nach der Niederlage der Franzosen im Deutsch- Französischen Krieg. Der vierte und letzte Band befasst sich mit der letzten Woche der so genannten Pariser Kommune, deren Versuch einer sozialistischen Revolution blutig niedergeschlagen wurde. In den Kämpfen und den folgenden Massenexekutionen fanden 30 000 Menschen den Tod.

 

Bei der Lektüre von Tardis Werk drängt sich der Gedanke auf, dass das Grauen nicht aufgehört, sondern höchstens andere Gesichter bekommen hat. Und genau so wird Tardi nicht aufhören, dem Schrecken mit seiner Kunst immer und immer wieder ein Gesicht zu geben, hochartistisch ausgeführt und kritisch eingebettet in komplexe Plots, die sich nicht mit einfachen Kategorien zufrieden geben. Er wird damit aufrütteln, zur Reflexion provozieren, für Gespräche sorgen, Themen dringlich machen. Das ist es, was Kunst dem schier unaufhaltbaren Bollwerk des Krieges und der Unmenschlichkeit im besten Fall entgegenhalten kann. Nicht mehr und nicht weniger.

 

Dave Schläpfer, im Mai 2006

 

Die auf Deutsch publizierten Comics Tardis im Überblick »

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