Verfilmung «V wie Vendetta»

Fulminant umgesetzte Negativ-Utopie

In einem faschistischen England in nicht allzu ferner Zukunft startet der mysteriöse Vigilant "V" eine Vendetta gegen den schier unbesiegbaren Regierungsapparat. Die wuchtige, formal brillante und vielschichtige Adaption des Kult-Comics von Alan Moore und David Lloyd fasziniert und irritiert zugleich.

London in naher Zukunft: England ist zum totalitären Staat geworden, an dessen Spitze der "Kanzler" (John Hurt) steht, der optisch wohl nicht von ungefähr an Saddam Hussein erinnert. Analog zu den Referenzwerken "1984" (George Orwell), "Schöne neue Welt" (Aldous Huxley) und "Wir" (Jewgenij Samjatin) werden die Bürger ihrer Privatsphäre beraubt; es kommt zur Verfolgung und Internierung von Minderheiten. Doch Hilfe naht: Ein von Experimenten fürs Leben gezeichneter Mann hat es sich zur Aufgabe gemacht, diesen auf den ersten Blick unangreifbar und omnipotenten Apparat zu Fall und dem Volk wieder seine Freiheit zu bringen. Und dabei geht der exzentrische "V" (gemimt von "Matrix"-Bösewicht Hugo Weaving), der sich während des gesamten Films hinter der Maske des Volkshelden Guy Fawkes verbirgt und mit philosophischen Zitaten um sich wirft, nicht gerade zimperlich vor.

 

Deftige Kost
So fliesst denn auch viel, enorm viel Blut in diesem Anarcho-Epos, das in seiner Leitfrage "Wie viel Recht braucht es bis zum Unrecht?" Parallelen etwa zu Kleists "Michael Kohlhaas" (1810) aufweist. V kommt im Verlauf seiner Mission, das Monster zu bekämpfen, ohne selber zu einem zu werden, gänzlich ohne Schusswaffen aus, sondern glänzt als kampfsportiver Dolchakrobat. Daneben hat der Film auch Momente, die zum Nachdenken anregen über Staat, Recht und Freiheit sowie über die Legitimität von Gewalt. Zudem gibt diese Comicadaption Anlass zur (erneuten) Diskussion über die Bedeutung kultureller Symbole (man erinnere sich an die bedeutungsschwangeren Twin Towers) sowie über die Unterschiede zwischen "Freiheitskampf" und "Terrorismus" - eine hochaktuelle und nicht minder brisante Thematik. "V" schafft mit seiner Kritik an der Kultur aus ebendieser heraus den Balanceakt zwischen Kunst und Kommerz, an dem schon zahlreiche andere Filme gescheitert sind. Natalie Portman (wer erinnert sich nicht an ihre erste Rolle als 13-Jährige in "Léon - Der Profi"?) glänzt in der Rolle von Vs Protegée Evey und Stephen Rea (unsterblich in "The Crying Game") als von Zweifeln geplagter Polizist. Für das Drehbuch konnten die Gebrüder Wachowski ("Matrix"-Trilogie) gewonnen werden; Regie führte ihr ehemaliger "First Assistant Director" James McTeigue.

Starke Comicvorlage

Die beeindruckende Hochglanz-Optik des Films steht im krassen Gegensatz zur ab 1982 entstandenen schwarz-weiss-Comicvorlage von David Lloyd und Kult-Autor Alan Moore, der jedoch mit der Verfilmung nicht in Verbindung gebracht werden möchte. So erscheint Moores Name weder in den Credits noch nimmt dieser Tantiemen an. Trotzdem ist der Film natürlich durch und durch von Moores Geist durchdrungen. Beinahe ironischerweise scheint sich beinahe alles aus der Feder des Meisters ökonomisch und zugleich auf anspruchsvollem Niveau verwerten zu lassen, wie etwa die Verfilmungen "From Hell" (2001) und "Die Liga der aussergewöhnlichen Gentlemen" (2003) eindrucksvoll vorführen.

 

Im Vergleich zur Graphic Novel kommt die Filmadaption von "V" um einiges komplexitätsreduzierter, dafür aber auch verständlicher und sehfreundlicher daher. Vor allem bezüglich der dem Comic inhärenten ästhetischen Theorie wurden aber leider klare Abstriche gemacht: V bedient sich in der Graphic Novel nämlich ähnlich wie in der Schluss-Szene von Shakespeares "Hamlet" (1603) der Kunstform des Theaters, um durch die Kraft der Illusion zur Wahrheit zu gelangen. So findet sich etwa in einer im Film nicht realisierten Szene der von V gekidnappte Prothero, ein ehemaliger Leiter des Internierungscamps Larkhill, mit einem Male in einer dem Lager nachgestellten Theaterkulisse wieder, in der ihn V mit seinen begangenen Grausamkeiten konfrontiert, worauf Prothero den Verstand verliert. Handkehrum glänzt der Film mit neuen Elementen: So deckt etwa der Polizist Finch sukzessive auf, dass 100'000 tote Engländer auf das Konto ihrer eigenen Regierung gehen, worauf er immer mehr den Glauben in das totalitäre System verliert. Zudem wurde - ohne an dieser Stelle mehr zu verraten - der Schluss entscheidend abgeändert; und dies nicht einmal zum Schlechten. Von Interesse dürfte vielleicht an dieser Stelle zusätzlich sein, dass das Gespann Moore/Lloyd für die erwartbare Endexplosion gerade einmal ein Panel in Anspruch nahm - im Gegensatz zur Adaption, in der diese Szene nach allen Regeln der (Actionfilm-)Kunst ausgeschlachtet wird.

 

Von Panini Comics erscheint in diesen Tagen eine Re-Edition von "V", deren Kolorierung allerdings nur Befremden hervorruft. Wer kann, tut bestimmt gut daran, auf die bereits 2003 bei Speed Comics erschienene schwarz-weiss-Fassung zurückzugreifen, deren Ästhetik auch die Filmfassung verpflichtet ist. Inzwischen - gepusht durch die Verfilmung - bereits ausverkauft, dürfte eine neue Auflage gewiss bald in Vorbereitung sein.

 

Dave Schläpfer, im März 2006

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