Coraline

In den Fängen der anderen Mutter

Die Tür, die nirgendwo hinführt: Neben den vielen Kuriositäten ist sie das Unheimlichste, was Coraline nach dem Umzug in ihr neues Daheim erwartet. Da ihre Eltern sich nicht um sie kümmern, durchschreitet sie die geheimnisvolle Tür und gelangt in eine Parallelwelt. Hier erwarten sie äusserst liebevolle Eltern, die aber scharfe Krallen und Knöpfe statt Augen haben.

 

Als die «andere» Mutter immer aufdringlicher wird, entscheidet sich Coraline zur Flucht. Mit «Coraline» (Panini, zirka 35 Franken) adaptiert Zeichner Craig P. Russell den 2002 erschienenen Roman von Neil Gaiman. Und wie so manche «Sandman»-Episode beweist, entstehen bei der Zusammenarbeit der beiden durchwegs kleine Meisterwerke. «Coraline» stellt hier keine Ausnahme dar: Was auf den ersten Blick wie eine Kindergeschichte anmutet, entpuppt sich relativ schnell als pures Gegenteil. Die Handlung bedient sich subtilem Horror, der das Schlimmste lediglich andeutet und somit der Fantasie des Lesers Raum lässt. Wie im früheren Werk von Gaiman (z. B. «Books of Magic») spielt magisches Denken erneut eine grosse Rolle. Bei Russells Zeichnungen fallen sofort die Unschärfe und der Mangel an Kontur einiger Passagen auf. Dies vor allem, da er sich sonst durch einen präzisen Strich auszeichnet. Doch bei der weiteren Lektüre erkennt man, dass Russell damit die Angleichung an den geheimnisvollen Plot sucht. Lobenswert ist die Gestaltung der Panels, die durch ihre eigenwillige Geschwindigkeitsdarstellung auffallen und speziell beim unbeschwerten Beginn der Geschichte die Situationskomik unterstützen. Auffallend sind die Ausbrüche aus dem Schema, welche interessante Akzente setzen. Zu nennen wäre etwa die plötzliche Änderung der Sprechblasen-Gestaltung. Einzig die Farbgebung wirkt stellenweise etwas fahl, hier hätte man ruhig ein wenig mehr Mut beweisen können. Gelungen ist auch der spannende Epilog nach dem vermeintlichen Ende, welcher «Coraline» vor einem trivialen Schluss bewahrt. Was bleibt, ist eine wunderbare Geschichte, bei der man als Erwachsener erneut erleben kann, welche bezaubernde Wirkung Märchen haben können.

 

Im Sommer 2009 kommt «Coraline» – basierend auf der Buchvorlage, nicht auf dem Comic – als Animationsfilm in die Kinos. Regie führt Henry Selick, bekannt durch «The Nightmare Before Christmas». (ras)

 

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Bis in den Himmel

Seelenwanderung ohne Pathos

Im nächtlichen Tokio ereignet sich ein Verkehrsunfall, an dem zwei Menschen beteiligt sind: Der 17-jährige Motocross-Champion Takuya Onodera und der 42-jährige Familienvater Kazuhiro Kubota. Dieser – von seinem durch massiven beruflichen Stress verursachten Burnout getrieben – hatte den Crash verursacht. Aus dem Koma erwacht, muss Kubota die Erfahrung machen, dass sein Geist nun im Körper des jugendlichen Onodera steckt. Den Widrigkeiten zum Trotz, den sein «falscher» Körper mit sich bringt, macht er sich auf zu seiner Ehefrau, der er seine Sorgen und Wünsche, mehr Zeit mit der Familie verbringen zu können, zeitlebens nicht offenbart hat – allzu viel Zeit dürfte ihm nicht bleiben…

 

«Bis in den Himmel» (Schreiber&Leser, zirka 30 Franken): Was sich auf den ersten Blick wie eine zweitklassige Bodyswitch-Seifenoper anhört, entpuppt sich als tiefgründiges Drama mit übersinnlicher Nuance. Es scheint tatsächlich so, als ob der Mangaka Jiro Taniguchi – «der Meister der leisen Töne» (Klappentext) – jeden Stoff, dem er sich zusammen mit seinem Zeichnerteam annimmt, zu Gold verwandeln könnte. Wie etwa bei seinem 5-Band-Bergsteiger-Epos «Gipfel der Götter» kann man sich bestimmt zu Recht fragen, ob es tatsächlich so viele Seiten – in diesem Fall stattliche 300 – braucht, um diese Geschichte zu erzählen. In Anbetracht dessen, dass dadurch der Weg der Wandlung des Protagonisten qua Lesezeit quasi am eigenen Leib erfahrbar wird, scheint dies durchaus legitim. Die bravouröse erzähltechnische und auch grafische Umsetzung des Zwei-Seelen-in-einem-Körper-Themas sowie die Überhöhung des Mikrokosmos der persönlichen Schicksale mit einer Kritik an der japanischen Leistungsgesellschaft und nicht zuletzt der hochpoetisch komponierte Schluss verfestigen Taniguchis Rang als einer der zurzeit wichtigsten Vertreter des Autorencomics. (scd)

 

Eine Besprechung des bei Carlsen erschienenen Taniguchi-Bandes «Spaziergänger» wird im Verlauf des Aprils auf Comic-Check publiziert.

 

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Jonathan 14

Ein Tourist unterwandert das Regime

Nach seiner Motorradtour von Tibet nach Burma wartet Jonathan vor Ort auf die Genesung eines befreundeten Arztes von einer Blinddarmentzündung. Mittlerweile vertreibt sich Jonathan die Zeit mit Tagebuchschreiben und philosophischen Gesprächen mit einem buddhistischen Mönch. Doch der Fremde erregt auch die Aufmerksamkeit von politischen Aktivisten im unterdrückten Burma. Man will ihn für ihre Zwecke einspannen und mit seiner Hilfe Informationen über Menschenrechtsverletzungen im Internet publik machen.

 

Nach siebenjähriger Pause erscheint mit «Sie oder: Zehntausend Glühwürmchen» (Salleck Publications, zirka 24 Franken) nun Band 14 der Jonathan-Reihe. Die aussergewöhnliche Serie des Westschweizer Autors Cosey, die bereits in den 1970er-Jahren ihren Anfang nahm, büsst auch weiterhin nicht an frischen Ideen ein. Die Erlebnisse des Weltenbummlers Jonathan verzichten wohltuend auf spektakuläre Action. Wo Hollywood-Filme mit demselben Szenario halbe Städte in Schutt und Asche legen würden, schlägt sich der Protagonist mit realistischen Begebenheiten und Gefahren herum. Dies funktioniert, ohne dass die Geschichte an Spannung verliert und erzeugt erst noch eine ungeahnt packende Atmosphäre. Interessant in diesem Zusammenhang ist ebenfalls die anfängliche Empfehlung bestimmter Musikstücke zur Lektüre durch den Autor. Die Erzählung wird mehrheitlich in Notizen und Tagebucheinträgen erzählt. Der Text ist oft in Ornamenten, wie einer Lotusblütenform, untergebracht, welche die Panels abgrenzen. So werden Wort und Bild richtiggehend ineinander verwoben. Nur die eigenwillige, sehr erdige Farbgebung wird wohl nicht den Geschmack aller treffen. Etwas sattere Farben würden hier sicherlich etwas ästhetischer wirken. Inhaltlich dominieren vor allem philosophische Fragen über die Realität, sowie deren Wahrnehmung und Erfahrung. Zudem erhält der Comic durch seine Darstellung diverser Schikanen des burmesischen Militärregimes eine politische Dimension. Damit knüpft Cosey thematisch an die vorgängigen Bände, die in Tibet spielen, an. Band 14 zeichnet sich ebenso durch ein akkurat recherchiertes Szenario aus, geht mit Informationen aber zurückhaltender um als die Tibet-Episoden, was dem Erzählfluss zu Gute kommt. Abschliessend gesagt ist der vorliegende Band eine ungewöhnliche Lektüre, die durch dichte Atmosphäre zu überzeugen vermag. Aufgrund der vielen Bezüge zu früheren Bänden der Serie ist es jedoch fraglich, ob auch Neuleser die Ausgabe wirklich geniessen können.

 

Von Coseys Mentor – dem Waadtländer Derib – ist übrigens beim selben Verlag gerade eine Neuausgabe des ersten Bandes seiner sich an eine junge Leserschaft richtenden Indianderserie «Yakari» (mit dem jurassischen Zeichner Job) erschienen: «Yakari und der grosse Adler» von 1973. (ras)

 

Die Bände der Serie im Überblick: 1-11 bei Carlsen » / ab 12 bei Salleck »

Plusplus: Es war einmal

Werkschau auf hohem Niveau

Tolle Sachen, die es noch nicht gibt, muss man halt einfach selber aus der Taufe heben: Das hat sich wohl die Studentengruppe um Ludmilla Bartscht, Andreas Bertschi, Julia Marti, Kati Rickenbach, M.-H. Talaya Schmid und Milva Stutz gedacht – und im Jahr 2007 das zuerst noch selber kopierte und geheftete Comic-Magazin «Plusplus» ins Leben gerufen (zunächst unter dem Namen «18 Plus»). Speziell daran ist, dass es sich um eine deutsch-schweizerische Koproduktion handelt. Nachdem die dritte Ausgabe «Zuhause bei Plusplus» den neu lancierten Max&Moritz-Preis in der Kategorie «Sonderpreis für eine studentische Comic-Publikation» eingeheimst hat, stand der vierten Ausgabe «Es war einmal», die nun beim renommierten Schweizer Verlag Edition Moderne verlegt wird (zirka 25 Franken), nichts im Wege.

 

Das Projekt stellt ein Paradebeispiel für die über die politischen und sprachlichen Grenzen hinausgehende Vernetzung in der Comic-Szene dar. Dieser offene Gestus manifestiert sich auch in der löblichen zweisprachigen Präsentation (deutsch/französisch) der Beiträge. Erfreulich ist nicht zuletzt, dass bei «Plusplus» auch die Zentralschweiz nicht zu kurz kommt: So kommen nicht wenige der am Projekt oder an der aktuellen Ausgabe Beteiligten aus der Region, haben hier an der Hochschule für Design und Kunst studiert, ausgestellt oder sind sonst irgendwie mit der Zentralschweiz verbandelt. Für das Vorwort konnte der Luzerner Publizist Christian Gasser verpflichtet werden.

 

Auch was die zehn Beiträge der Kompilation anbelangt, lässt sich wenig bemängeln: Von einer Schwarz-Weiss-Fotografie aus dem Jahr 1974 ausgehend, welches ein Paar auf dem Fluglatz der südspanischen Stadt Almeria zeigt – ein Fund aus einem Trödlerladen –, haben die Comic-Schaffenden ihre Gedanken kursieren lassen und dazu Kurzgeschichten geschaffen, die sich durchs Band auch ohne Studenten- und Regionalbonus sehen lassen können. Manchmal wünscht man sich höchstens, dass der eine oder andere Beitrag noch etwas progressiver, etwas gewagter daherkommen möge. Diesbezüglich ist die 25-jährige Julia Marti mit ihrer eigentümlichen Catcher-Mär «La Luchadora» auf der richtigen Spur. So oder so lässt sich an diesem Who’s Who der jungen Comic-Szene einmal mehr grandios illustrieren, dass das Medium weder an eine bestimmte Form noch an einen spezifischen Inhalt gebunden ist. (scd)

Zürich by Mike 13

Ein würdiges Vermächtnis

Im 13., postum erschienenen «Zürich by Mike»-Band (Edition Moderne, zirka 30 Franken) hält Mike van Audenhove Zürich wiederum stets humorvoll und nie ketzerisch den Spiegel vor. Mit feinem Strich und Aquarell-Kolorierung skizziert er Alltäglichkeiten – und trifft dabei wiederum voll den Puls der Stadt und die Mentalität ihrer Bewohner. Nicht zuletzt ist es van Audenhoves Verdienst, die Kunstform Comic einer breiten Bevölkerungsschicht schmackhaft gemacht – und dem «Tages-Anzeiger» ein sympathisches Gesicht verliehen zu haben.

 

Der US-amerikanische Comiczeichner ist am 10. März 2009 im Alter von 51 Jahren in seinem Haus in Cavaglino im Tessin an einem Hirnschlag verstorben. Im Jahr 1966 siedelte van Audenhoves Familie in die Schweiz um. Dort besuchte er das Institut Montana der Hochschule Zugerberg. Damals zeichnete er bereits seine ersten Comic-Strips. Im Kanton Zug verbrachte Mike van Audenhove auch einen Teil seiner Wanderjahre von 1980-84. Beim Comix-Festival Fumetto 2006 war er «Artist in Residence» im Hotel Schweizerhof, wo er täglich Leben und Alltag in Luzern in Aufzeichnungen und Strips festhielt. (scd)

 

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Sleeper 2: Die Schlinge zieht sich zu

Geheimagent in der Identitätskrise

«Going native»: So nennt der Ethnologe das Phänomen, wenn ein Forscher bei teilnehmender Beobachtung eines fremden Volkes sich diesem so weit annähert, dass er nicht mehr aus der Sicht des Aussenstehenden darüber berichten kann, da er seinen unvoreingenommenen Standpunkt unwiderruflich verloren hat. Genau um diesem Aspekt des «einheimisch Werdens» geht es im zweiten Band «Die Schlinge zieht sich zu» der Serie «Sleeper» (Cross Cult, zirka 35 Franken): Der Undercover-Agent Holden Carver bekleidet inzwischen einen hohen Posten in Taos Geheimorganisation, hat dort eine Geliebte und einen Busenfreund. Ähnlich dem von Johnny Depp gemimten Charakter Donnie Brasco (im gleichnamigen Film von 1997) oder dem Journalisten im belgischen Mockumentary «Mann beisst Hund» von 1992 hat er sich dem Unterwelt-System, das er unterwandern sollte, so weit angenähert und perfekt angepasst, dass er beinahe gänzlich mit den verbrecherischen Akteuren darin verschmolzen ist. Das bewahrt ihn davon, gänzlich schizophren zu werden. Doch nun nimmt die Regierung wieder Kontakt mit Carver auf – der verdeckte Ermittler muss sich für eine Seite entscheiden…

 

Wenn man bereit ist, über einige kleine Schönheitsfehler hinwegzusehen, lohnt sich die Lektüre von «Die Schlinge zieht sich zu» von Ed Brubaker und Sean Philipps durchaus. Die Erzählstruktur mit ihren Zeitsprüngen ist raffiniert angelegt, die Seitenarchitektur innovativ, der Plot mit seinen Wendungen spannend und auch die etwaige Einblendung der Gedanken des Ich-Erzählers quasi aus dem Off weiss zu gefallen. Was jedoch nach wie vor irritiert, ist das befremdende und wirklich keineswegs zwingende Streifen des Superhelden-Universums. Sogar Carver selbst verfügt ja im Prinzip über paranormale Kräfte, die er jedoch kaum zur Anwendung bringt. Und der Verbrecherboss Tao ist etwas gar farblos geraten, wenn man bedenkt, über welche ausserordentlichen Fähigkeiten dieser anscheinend verfügt. Was das Lesevergnügen zudem empfindlich stört, ist die verkleinerte Reproduktion des Comics. Hier hätte der Verleger bestimmt besser daran getan, die Panels bis auf die ganze Seitengrösse zu skalieren und auf die weissen Ränder zu verzichten. Der Band kann übrigens – vom dann natürlich störenden Cliffhanger am Schluss einmal abgesehen – durchaus auch als One-Shot gelesen werden. (scd)

 

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Strapazin 94 / März 2009

Geheimtipps – publik gemacht

Die aktuelle «Strapazin»-Ausgabe hat – im Gegensatz zu den meisten anderen Ausgaben des Schweizer Comicmagazins – kein übergeordnetes Thema. Die Herausgeber Christian Gasser und David Basler hatten «einfach den Wunsch, ein paar Zeichner und Autoren ins Heft zu nehmen, die wir schon lange einmal in Strapazin sehen – oder im Fall von Gipi – wiedersehen wollten», wie es im Vorwort heisst.

 

Dieses Ausscheren aus dem Schema macht sich mehr als bezahlt: Aus der Feder des Mangakas Jiro Taniguchi, der trotz zahlreicher Veröffentlichungen erst jetzt allmählich ins allgemeine Bewusstsein einer grösseren deutschsprachigen Leserschaft vorzudringen scheint, stammt die wunderschöne Kurzgeschichte «Auf dem Baum». Diese steht mit ihrer strikten Fokussierung auf dem unmittelbar erlebten Alltag und der unaufgeregten Erzählweise exemplarisch für das gesamte Werk Taniguchis.

 

Äusserst interessant sind die Müsterchen aus Matt Maddens «99 Ways to tell a Story»: Ausgehend von einer «Blaupause» (ein Man steht von der Arbeit aus, verkündet jemanden im oberen Stock des Haus die Uhrzeit, geht zum Kühlschrank und sinniert, was er überhaupt gesucht hat) und dem Konzept der Begrenzung hat der Amerikaner 99 darauf mehr oder weniger lose basierende Variationen des Stoffs geschaffen. Gleichzeitig ist es ihm gelungen, auf experimentellem Weg die Theorie und das Funktionieren des Mediums Comic zu ergründen.

 

Am meisten Platz wird der Gangsterballade «Sie haben das Auto gefunden» des italienischen Comiczeichners Gipi zugestanden, der bereits im Jahr 2002 für eine Story in «Strapazin» verpflichtet werden konnte. Gipis Arbeit gewährt einen ungeschönten Einblick in die Lebenswelt von Charakteren am Rande der Gesellschaft. Zu guter Letzt zum Zug kommt der Underground-Zeichner Rory Hayes mit einem entsprechend weirden Beitrag über Teddybären im Weltraum.

 

Abgerundet wird die gelungene Ausgabe durch einen reichhaltigen Textteil mit Interviews mit den Künstlern, Hintergrundartikeln und Besprechungen. (scd)

 

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The Boys 2

Dekonstruierte Strahlemänner

Eine Hundertschaft zerberstender Köpfe, «Hinterlader»-Vigilanten, Burrio-Durchfall, explodierende Riesendildos, ein Sowjetunion-Koloss, der mit seinem 40-Zentimeter-Gebambel nicht zufällig auf den Namen «Liebeswurst» hört – und als Höhepunkt ein rektalfixierter Superheld, der einen die Erde bedrohenden Riesenmeteoriten durch einen wilden F**k zum Zerbersten bringt: Das ist die vor Absurditäten und schwarzem Humor triefende Welt von «The Boys» – ein «Für erwachsene Leser»-Hinweis fehlt erstaunlicherweise – aus der Feder von Garth Ennis («Preacher», «The Punisher»), in Szene gesetzt von Darick Robertson.

 

Vom Plot her knüpft der Zweitling «Der glorreiche Fünfjahresplan» (Panini, zirka 36 Franken) mit weiteren Abenteuern der kuriosen Superheldentruppe um Billy Butcher lose an den ersten Sammelband an – der Geist ist derselbe geblieben. Bestimmt kann es als Verdienst von «The Boys» angesehen werden, das oft allzu prope Superhelden-Genre etwas aufgemischt zu haben. Das Einbringen von Sex, Drogen und expliziter Gewalt hat jedoch nicht viel mehr als einen Sturm im Wasserglas zur Folge, da das Konzept – stets im Dienst der Kommerzialität – ad absurdum geführt wird und letztlich trotz Ironiesignalen halt zur Reflexion doch die notwendige Distanz zu fehlen scheint. Selbstredend ist das auch nicht das Ziel der Übung, sprich: Anhänger von anarchistischem Witz, Fäkalsprache und roher Brutalität dürften sich wiederum aufs Beste unterhalten fühlen. Doch auch für diese Klientel kündet sich mit dem abrupten Wechsel des Zeichenstils gegen Schluss, der mit seiner für Funnys typischen Reduziertheit und der flächigen Farbgebung so gar nicht zum politisch inkorrekten Inhalt passen will, Ungemach an. (scd)

 

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Largo Winch 13

Finanzthriller mit einigen kleinen Fehlern

Auf dem Weg zur Schliessung der Lücke zwischen den bereits erschienenen Bänden 1 bis 11 sowie 15 und 16 der Serien «Largo Winch» von Philippe Francq und Jean van Hamme ist die 13. Ausgabe «Golden Gate» (Alles Gute! bei Schreiber&Leser, zirka 24 Franken). Hier gerät der titelgebende Protagonist Winch in eine teuflische Falle. Bei der Untersuchung verdächtiger Geschäfte seines Senders W9 in San Francisco verstrickt sich immer mehr in einem Netz aus Lüge und Intrige, das auf den Fall des New Yorker Multimilliardärs abzielt. Der Band endet mit einem geradezu klassischen Cliffhanger: Winch und seine rechte Hand sitzen im Gefängnis, angeklagt wegen Steuerbetrugs, Körperverletzung und Vergewaltigung.

 

Die Figur des Playboy-Superreichen mag zwar nicht wirklich realitätsnah sein, doch insgesamt bietet die plotmässig zwar extrem vorhersehbare und trotzdem gar nicht einmal so simpel gestrickte Serie mit ihren Einsprengseln aus der Finanzwelt eine gelungene Abwechslung im Abenteuergenre. Wer Jean van Hamme indes durch seine Arbeit an «Thorgal» und «XIII» kennen und schätzen gelernt hat, wird den fahrigen Strich und die zurückhaltende Farbgebung vermissen – Komponenten, die in «Largo Winch» einem geradezu klassischen Ligne-Claire-Stil Platz gemacht haben, wodurch der seit 1990 laufende Serie bereits schon formal ein extrem gewöhnlicher Stempel aufgedrückt wird. (scd)

 

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Batman R.I.P.

Fall es so weitergeht: Friede seiner Asche!

Mit grossem Brimborium ist die Miniserie «Batman R.I.P.» angekündigt worden (Panini, zirka 10 Franken). Schon der Titel – an das laue «Der Tag, an dem Superman starb» gemahnend – lässt nichts Gutes erahnen, Autor Grant Morrison («Invisibles») hin oder her. Der Verdacht minderwertiger Ware erhärtet sich bei der Lektüre des ersten Bandes. Klar handelt es sich bei dem 44-seitigen, mit einem Poster bestückten Heftchen nur um den Einstieg in eine längere und hoffentlich noch an Komplexität zunehmende Storyline.

 

Klar wird mit «Black Glove» eine neue, ganz ganz böse Organisation eingeführt. Und klar erfährt mit der ach! so geheimnisumwitterten Jezebek Jet (wieder einmal) ein Date vom Doppelleben des Gigolos Bruce Wayne. Und superklar kündigt sich am Schluss an, dass auch der Joker (wieder einmal) ein wenig mitmischeln wird. Doch das allein – gekoppelt mit der 08/15-Grafik von Tony Daniel – genügt einfach nicht (mehr) für eine innovative Superhelden-Story, die auch das dem Pennäleralter entwachsene Publikum zu befriedigen mag (und mit Werken wie etwa «Der dunkle Ritter kehrt zurück» die Brechung des Genres am eigenen Leib miterlebt hat – ein Tor, durch das es kein Zurück gibt). Diesbezüglich ist es beinahe ein Hohn, dass auf dem Rückblatt Werbung für «Watchmen» gemacht wird (wenngleich auch für die Filmadaption, welche ja jedoch durchaus zufriedendstellend ausgefallen zu sein scheint).

 

Abmildernd sei angemerkt, dass das Urteil bestimmt etwas harsch ausgefallen ist. Und natürlich kann nicht jeder «Batman» aus Morrisons Feder das Kaliber eines «Arkham Asylum» haben (wobei hier natürlich auch massgebend das Artwork Dave McKeans beitrug). Wer sich über die Güte selber ein Urteil bilden möchte, jedoch auf die albernen Cliffhanger verzichten möchte, tut sicher gut daran, abzuwarten und den bestimmt im Anschluss erscheinenden Sammelband einer genaueren Prüfung zu unterziehen. (scd)

 

Infos zur auf Englisch Ende 2008 zu Ende geführten Story »

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