Gegen den Strom

Aus dem Leben eines Mangaka

«Gegen den Strom» (Carlsen, zirka 44 Euro/62 Franken): Der Titel ist Programm bei dieser über 800 Seiten starken Autobiografie von Yoshihiro Tatsumi. Der heute 72-Jährige zeichnet darin seinen wechselreichen Werdegang zum Mangaka nach – und zwar zum Autor von Gekiga. Damit sind inhaltlich, stilistisch und auch vom Umfang her die Konventionen sprengende Comics, quasi ein fernöstliches Pendant zu den unter dem Begriff Graphic Novels subsummierten Erzeugnissen, gemeint. Als einer der Gekiga-Wegbereitet hatte Tasumi mit viel Gegenwind bis zum Durchbruch dieses heute etablierten, aber in den 1950er-Jahren im Gegensatz zu den klassischen Witz- und Kinder-Comics verpönten Genres.

 

Dem hierzulande eher weniger bekannten Yoshihiro Tatsumi (bis dato auf Deutsch erst mit dem so düsteren wie brillianten «Existenzen» in Erscheinung getreten) ist ein Werk von hohem Wert und grosser Vielschichtigkeit gelungen. Zum einen handelt es sich um die Biografie eines Mannes, der einen Traum aller Widrigkeiten zum Trotz konsequent weiterverfolgt (und dabei in der Erzählung durch sein Alter Ego doch nicht zum Helden oder Märtyrer emporstilisiert wird). Zum anderen erfährt der Leser enorm viel über die Kulturgeschichte des Landes der aufgehenden Sonne und die dortige Wahrnehmung ausländischer Literatur und Filme im Allgemeinen und über die Entwicklung des Manga im Besonderen. Die «Autobiografie in Bildern» – so der Untertitel des Mammutwerks – endet im Juni 1960, als der junge Künstler, unverhofft in eine grosse Demonstration geraten, in der allgemeinen Aufbruchstimmung der Masse eine Art Schlüsselmoment erlebt und emotional übermannt gen Himmel schreiend schwört, dem Gekiga für immer die Treue zu halten. Uneingeschränkte Leseempfehlung! (scd)

 

Trailer zum Anime «Tatsumi» »

Sambre 6: Das Meer vom Fegefeuer aus gesehen…

Das romantische Leiden geht weiter

Der Sturm, welcher vielen das Leben kostet, rettet sie. Julie Saintage flüchtet vom sinkenden Gefangenenschiff und versteckt sich vor den Behörden an der Küste Irlands. Dabei hilft ihr ein Leuchtturmwärter, der wie so viele Männer vor ihm ihrem Charme verfällt. Doch Julie scheint nur Augen für den Geist ihres verstorbenen Mannes Bernard zu haben.

 

Mit dem sechsten Band «Das Meer vom Fegefeuer aus gesehen...» (Carlsen, zirka 16 Euro/23 Franken) von Yslaire wird der zweite Zyklus von «Sambre» fortgeführt. Anders als im Auftaktband steht nunmehr Julie und nicht ihr Sohn Bernard-Marie im Zentrum. Erneut verschmelzen bei der romantischen Leidensgeschichte Gestaltung und Erzählung gekonnt zu einer Einheit. So wird die grau-depressive Grundstimmung perfekt von den starken Rot-Akzenten durchbrochen. Der Band ist ohne Frage gelungen, kritisieren könnte man höchstens, dass die Episode vom Plot her eher vor sich her dümpelt und der Haupterzählstrang kaum vorangetrieben wird. (ras)

 

Schwerpunkt zum Thema »

Die Kolonie

Psychedelik und Deformation

Man mag Charles Burns durchaus zu Recht vorwerfen, dass er sich nach dem grandiosen «Black Hole» nur noch in einer Art selbstreferenziellen Raum bewegt. Das schmälert die tripartige Wirkung seiner weiteren Erzeugnisse jedoch nicht, wie die Lektüre des zweiten Bandes «Die Kolonie» (Reprodukt, zirka 18 Euro/25 Franken) seines neuen Zyklus zeigt.

 

Aufgebaut nach der zumindest zunächst irrational scheinenden Logik eines Traums, präsentiert Burns ein Versatzstück aus drei auch stilistisch verschieden realisierten Erzählebenen, das diverse Lesarten zulässt. Eine explosive Mischung aus Lynch und Cronenberg – faszinierend und verstörend zugleich. (scd)

 

Infos und Leseprobe »

Der Boxer

Boxen um zu überleben

Auschwitz, während des Zweiten Weltkriegs: Hertzko Haft kämpft im dortigen Konzentrationslager wie zigtausend andere internierte Juden um sein Überleben. Halb Fluch, halb Segen kommt dazu, dass ihm die Nazis eine besonders perverse Rolle zugedacht haben: Sie lassen den Jüngling in Schaukämpfen gegen andere Gefangene boxen. Hertzko ist zäh und überwindet Gegner um Gegner, bis schliesslich die Amis anrücken und dem Gräuel ein Ende bereiten. Zwar wird Haft später als Profiboxer in den USA Karriere machen, doch die unmenschliche Behandlung und die schrecklichen Erlebnisse in den Lagern haben ihn allem Durchhaltevermögen zum Trotz irreparabel geschädigt.

 

Mit «Der Boxer – Die wahre Geschichte des Hertzko Haft» (Carlsen, zirka 17 Euro/25 Franken) ist Reinhard Kleist erneut ein überragender Comic gelungen. Überragend zum einen aufgrund des ausdruckstarken und sich auf das Notwendige beschränkende Schwarzweiss-Artworks. Überragend zum anderen daher, weil Kleist nicht der Versuchung erliegt, Hetzko Haft aufgrund des ihm durch das Nazi-Regime angetanen Unrechts durch und durch zum Opfer oder aber zum Helden emporzustilisieren. Vielmehr zeichnet er seinen Protagonisten überaus realistisch nach als einen leicht sonderbaren Jedermann, der es meisterlich versteht, sich in höchster Not bestmöglich anzupassen, um einen Alptraum zu überleben. Haft – es handelt sich übrigens tatsächlich um ein authentisches Schicksal – endet nach seiner blitzartigen, insgesamt aber eher kurzen Boxerkarriere im Exil als gebrochener, mürrischer Mann (der es immerhin nach Jahrzehnten schafft, seinem Sohn seine leidensvolle Geschichte, die auch eine unglückliche grosse Liebe miteinschliesst, zu erzählen). Ein wichtiges Werk, auch was seinen Beitrag zur Aufarbeitung des lange vernachlässigten Aspekts des Sports in der Nazi-Ideologie anbelangt. (scd)

Mein Leben mit Mr. Dangerous

Vom ewigen Streben nach Glück

Der beste Freund: weggezogen, die Suche nach Mr. Right: durchzogen. Kein Zweifel, Amy macht gerade eine schwierige Phase durch. Da helfen die gutgemeinten Ratschläge der Mutter wenig. Und auch der öde Arbeitsalltag in einem Kleidergeschäft macht das Ganze nicht besser. Immerhin gibt es ja noch die schräge TV-Serie «Mr. Dangerous», die wenigstens etwas Trost in Amys sonst so glücksmoment-armes Leben bringt.

 

Mit «Mein Leben mit Mr. Dangerous» (Carlsen, zirka 20 Euro/29 Franken) ist Paul Hornschemeier wieder einmal ein ganz besonderes Kleinod gelungen: In unspektakulären Bildern widmet er sich dem alltäglichen Gefühlschaos-Beziehungswahnsinn – sensibel, pointiert und von der hornschemeier-typischen wunderbaren Melancholie durchzogen. (scd)

XIII 20: Der Tag der Mayflower

Die Jagd geht weiter

Totgesagte leben länger: Das trifft sowohl auf den Plot von «XIII» als auch auf die Thriller-Serie selber zu. Zum einen muss sich der Protagonist, der im ersten Band leblos und ohne Gedächtnis an einen Strand gespült gefunden wird, Tausenden Gefahren erwehren, um zu beweisen, dass er kein Präsidentenmörder ist. Zum anderen galt die seit 1984 laufende Serie von Jean Van Hamme und William Vance vor fünf Jahren mit dem 19. Band als offiziell abgeschlossen. Allerdings ist der Grabdeckel infolge der Publikation von One-Shots zu den Hauptcharakteren und einer – allerdings leider halbgaren – TV-Verfilmung mit Stephen Dorff und Val Kilmer nie ganz geschlossen worden.

 

Von daher überrascht es eigentlich gar nicht so sehr, dass nun ein neues Duo den Hauptstrang des anspruchsvollen Agentenplots mit «Der Tag der Mayflower» (Carlsen, zirka 12 Euro/19 Franken) weiterdreht. Stimmigerweise handelt es sich um Yves Sente, der von van Hamme bereits die Weiterführung des Szenarios von «Thorgal» übernommen hat, unterstützt vom eher weniger bekannten Youri Jigounov. Dem russischen Zeichner muss zugute gehalten werden, dass er Vances Stil stimmig fortführt. Generell kann der Beginn des neuen «XIII»-Zyklus als gelungen bezeichnet werden: Der Held ist noch immer auf der Suche nach seiner Vergangenheit, die ihm erneut zum Verhängnis zu werden droht. Fazit: Es bleibt spannend. Eine gute Gelegenheit für Neueinsteiger, um die Serie von vorne zu entdecken. (scd)

 

Die «XIII»-Bände im Überblick »

Batman: Dunkle Dämmerung

Das dämonische Duo

Auf der Suche nach seiner Jugendfreundin Dawn trifft die menschliche Fledermaus nicht nur auf Killer Croc und den Pinguin, sondern auch auf den in den 1970er-Jahren von Jack Kirby geschaffenen Dämonen Etrigan. Nachdem die Fronten der beiden Gotham-City-Lokalmatadoren geklärt sind, versuchen die zwei Kreaturen den Nacht, Dawn aus den Fängen ihres unheimlichen, von den Toten zurückgekehrten Vaters zu befreien.

 

Neben den beeindruckenden Cover von David Finch, der bei «Dunkle Dämmerung» (DC Premium 79, Panini, zirka 15 Euro/20 Franken) sowohl als Autor als auch als Zeichner Hand anlegt, wirkt vor allem das stimmungsvoll kolorierte Artwork von Scott Williams (Tusche) und Alex Sinclair (Farben). Die in düsteren Tönen gehaltene bedrohliche Grundstimmung vereint mehrere angerissene, schnell wechselnde Handlungsstränge, die nur als Anfang der von DC gestarteten Reihe «Batman – The Dark Knight» Sinn machen. Wer die aktuell eher realistischen Darstellungen des dunklen Ritters mit ein wenig Okkultem aufbrechen mag, ist mit Finchs «Dunkle Dämmerung» gut bedient. (sam)

 

Leseprobe »

Der Staub der Ahnen

Einblick in eine fremde Welt

Nach zwei Jahrzehnten reist ein Museumswärter wegen eines Begräbnisses zurück in seine Heimat in der mexikanischen Provinz. Doch aus dem Plan, Frieden mit den Verwandten und der Vergangenheit zu machen, wird nichts. Zu stark sind die aufkommenden an die unter unglücklichen Umständen Verstorbenen aus seiner Familie am «Tag der Toten».

 

Felix Pestemer legt mit «Der Staub der Ahnen» (Avant, zirka 25 Euro/36 Franken) ein beachtliches Debüt vor. Man mag monieren, dass der eigentliche Plot relativ dünn ist und die Szenen aus dem Totenreich mehr verwirren als klären. Das aber ist angesichts der superben Grafik Jammern auf sehr hohem Niveau. Auch nicht zu leugnen ist der ethnologische Wert des Werks, das einen höchst interessanten Einblick in mexikanische Rituale gibt. (scd) Infos »

Feindgebiet

Realmär aus der Ära des Kalten Krieges

1. Mai 1960: Francis Gary Powers wird über sowjetischem Gebiet abgeschossen. Der amerikanische Pilot ist im Auftrag der CIA mit dem damals hypermodernen Spionageflugzeug Utility-2 (U-2) auf einer Höhe von rund 10‘000 Metern unterwegs, als es passiert. Auf der Maximalflughöhe von 21‘000 Metern wäre die «Drachenlady» für die Flugabwehrrakete unerreichbar gewesen. Den Selbstzerstörungs- mechanismus kann Powers zwar nicht mehr aktivieren, dafür rettet er sich mit viel Glück und wird mit dem Fallschirm am Boden angekommen von den Russen aufgegriffen. Nach zwei Jahren in Gefangenschaft kommt es auf einer Brücke zwischen der DDR und der BRD zu einem Austausch. Powers ist frei, seine Ehe am Ende – das Fliegen behält er bei. 1977 lässt er bei einem Helikopter-Einsatz sein Leben; Powers wurde 47 Jahre alt.

 

In «Feindgebiet – Die Geschichte des amerikanischen Piloten Francis Gary Powers» (Zwerchfell, zirka 12 Euro/17 Franken) erzählt Walter Pfenninger die Schlüsselmomente der nicht-fiktiven Person von 1956 bis 1962 akkurat nach. Der Zürcher Autor hat dabei viel Recherche betrieben und ist auf bestmögliche Leserführung und Verständlichkeit bedacht. Das darf ihm bestimmt zugutegehalten werden – handkehrum kommt dr Doku-Comic «Feindgebiet» analog des Stils (halbrealistische ligne claire) und der Kolorierung (Grau- und Orangetöne) inhaltlich etwas gar farblos und brav daher. Pfenninger hätte ruhig etwas stärker vom Recht des Künstlers, sich nicht allzu sehr an historische Fakten halten zu müssen, im Sinne der Dramaturgie auszugestalten und hinzuzufügen sowie auch das Innenleben der Protagonisten nach seiner Interpretation auszubreiten, Gebrauch machen dürfen. Wer am historischen Fall Powers interessiert ist und den Comic als rasches und einfach lesbares Informationsmedium schätzt, wird auf jeden Fall perfekt bedient. (scd)

 

Blog von Pfenninger zum Comic »

Wolverine: 5 Ronin

Wenn Superhelden auf Samurai treffen

Das feudale Japan der Samurai. Schnell fallen die stolzen Krieger dem kalten Stahl zu Opfer und noch schneller ist die Ehre verloren. In der letzteren Situation finden sich fünf aussergewöhnliche Individuen wieder. Die Marvel-Helden Wolverine, Hulk, Punisher, Psylocke und Deadpool wurden in eine für sie ungewöhnliche Mitte versetzt, aber lösen ihre Konflikte auf die ihnen bekannte Art. Und ihr Motiv ist wie so oft bei den Ronin genannten herrenlosen Samurai einmal mehr eiskalte Rache.

 

Die Idee Kombination von Samurai-Setting und Superhelden-Geschichte in «Wolverine: 5 Ronin» (Panini, zirka 17 Euro/23 Franken) mag auf den ersten Blick erzwungen wirken, doch die fünf Geschichten, welche in diesem abschliessenden Sammelband enthalten sind, funktionieren tadellos. Dies vor allem, da die Fünf nicht einfach in die Zeit zurück geschickt werden, sondern einheimische Krieger sind und ähnliche Charakteristiken wie die bekannten Superhelden mitbringen. So wächst und verfärbt sich Hulk nicht in Zeiten emotionalen Stresses, sondern ist ein Kriegermönch, der im Gefecht unmenschliche Kräfte entwickelt. Das Artwork orientiert sich an der düsteren Grundstimmung der Geschichten. Die Farben sind dunkel gehalten. Alles in allem ein gelungenes Experiment, das Genre-Affine nicht enttäuschen wird. (ras)

 

Leseprobe »

Splitter

Singendes Schwert und schräger Humor

Es ist vollbracht: Mit dem 17. Band mit den Seiten der Jahrgänge 1969–1971 ist «Prinz Eisenherz» aus der Feder von Hal Foster endlich komplett (Bocola, zirka 23 Euro/32 Franken). «Die Sage vom Singenden Schwert», wie die Serie auch genannt wird, begann 1937 in zahlreichen amerikanischen Zeitungen; Foster zeichnete in den über drei Dekaden gegen 1800 Seiten. Es ist als grosses Verdienst des Bocola Verlags zu bezeichnen, dass diese nun erstmals digital restauriert und in den Originalfarben für die Leser zugänglich gemacht worden sind. Als Abschluss der Reihe erscheint noch ein reiner Sekundärband. (scd) Die Ausgabe im Überblick »

Schräg, schräger, Robin Vehrs: Mit «Western Touch» (Zwerchfell, zirka 10 Euro/15 Franken) liefert der 21-jähriger Hamburger eine Sammlung seiner Strips. Seien Sie ausdrücklich gewarnt: Vehrs' Humor ist ziemlich, naja, drücken wir es wertfrei aus, «speziell» und wirklich nicht jedermanns Sache. Kommt dazu: Die Zeichnung auf dem Cover stellt die künstlerisch anspruchvollste Arbeit des ganzen Bandes dar. Am besten wird es wohl sein, Sie werfen einmal einen Blick auf Vehrs' Blog. Alles andere kommt von selber – oder auch nicht...

Der Plot dürfte durch die berühmte Vorlage von Patrica Highsmith und die verschiedenen Verfilmungen allgemein bekannt sein: Nun ist eine besondere Ausgabe von «Der talentierte Mr. Ripley» (Edition Büchergilde, zirka 25 Euro/36 Franken) erschienen. Diese enthält 3D-Illustrationen, für die die Künstlerin Alexandra Rügler mit dem Büchergilde Gestalterpreis 2012 ausgezeichnet wurde. Die beiliegende 3D-Brille eröffnet eine ganz neue und Sicht auf den Klassiker. Auch wenn's für einmal kein Comic ist: Ein Blick in diese hochwertig ausgestattete Ausgabe lohnt sich! (scd)

Die Abenteuer des Dragoner-Offiziers Lance St. Lorne gehen weiter! Wer sich für klassische Cowboy- und Indianer-Comics interessiert, ist mit der erstmals zwischen 1955 und 1960 publizierten Sonntagszeitungs-Serie «Lance» von Warren Tufts, deren dritter Band nun vorliegt (Bocola, zirka 18 Euro/30 Franken), bestens beraten. (scd)

Kommentar schreiben

Kommentare: 0