Hard Boiled

Brutaler Roboter-Teufelskreis

Carl Seltz, Versicherungsermittler. Nein, Nixon, Steuereintreiber. Nein, Burns ist der Name. Der Protagonist von Frank Millers «Hard Boiled» (Cross Cult, zirka 43 Franken) hat ein massives Identitätsproblem. Doch egal, welchen Beruf er innehat, eins weiss er: Die Zielpersonen müssen aufgehalten werden. Dabei nimmt er keine Rücksicht auf Verluste und entvölkert ganze Stadtbezirke. Als er sich bei seinen Kämpfen immer schwerer verletzt und statt Knochen Metallteile mit Markennamen unter seiner Haut entdeckt, dämmert ihm, dass er ein Roboter ist. Die Wut, welche auf diese Erkenntnis folgt, richtet er an den Ursprung der Misere: Seine Herstellerfirma.

 

«Hard Boiled», erstmals 1990 erschienen, basiert auf einer Science-Fiction-Kurzgeschichte des Kult-Autors Philip K. Dick. Es wird jedoch ziemlich schnell klar, dass der Plot bei diesem Werk zweitrangig ist. Vieles verwirrt, wird nur angedeutet und angeschnitten. So muss man sich den Hintergrund zur Herstellerfirma und der sittenlosen Gesellschaft aus der nahen Zukunft aus den wenigen Impressionen selbst zusammenreimen. Die Auflösung, welche den Protagonisten als verkappten Sisyphos enttarnt, animiert jedoch trotzdem zur mehrmaligen Lektüre der Geschichte.

 

Der Comic lebt ganz klar von seiner Form, womit nichts anderes als Millers revolutionäre Panelgestaltung und Erzählweise gemeint ist, die er bereits bei «Batman: The Dark Knight Returns» an den Tag legte. Wiederum wendet er sein äusserst breites Panel-Spektrum an, das von dem stakkatoartigen Raster mit knapp 30 Bildern auf einer Seite bis zum doppelseitigen Gemälde reicht. Mit dieser Bandbreite und seiner Fähigkeit zur gekonnten Kombination von Timing und statischer Perspektive schöpft er aus den vollen und zeigt, welche Effekte das Medium Comic erzeugen kann, wenn man dessen Elemente stimmig arrangiert. An «Hard Boiled» sind die Entwicklung und wiederkehrenden Themen in Millers Oeuvre beobachtbar. Die bereits erwähnte Panelgestaltung des «Dark Knight» trifft auf eine dystopische, multikulturelle, aber gleichzeitig identitätslose Gesellschaft, wie sie bereits in seinem Frühwerk «Ronin» vorkommt. Zudem zeichnet sich die freizügige Darstellung von Sexualität à la «Sin City» ab. Und wie jedes seiner Werke strotzt auch «Hard Boiled» nur so vor Brutalität und braucht sich nicht einmal hinter Millers Blutorgie «300» zu verstecken. Leider kippt das Ganze leicht ins Unappetitliche, etwa in der Szene, wo als Perspektivenausgangspunkt der durchgeschossene Schädel eines Kontrahenten dient. Neben der Gewalt wird einigen Leser die Kunst von Zeichner Geof Darrow wenig zusagen. Die Bilder sind zwar detailreich und exakt gehalten, jedoch schlägt die fahle Farbgebung auf die Ästhetik und lässt den Comic ungewöhnlich altmodisch erscheinen.

 

Zusammenfassend zeigt sich «Hard Boiled» als Kür des Altmeisters Miller, an der vor allem Fans und Comicaffine ihre helle Freude haben werden. Die übrigen Leser werden aufgrund des eher mageren Plots wahrscheinlich nicht vollkommen auf  ihre Kosten kommen. (ras)

 

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Fun Home – Eine Familie von Gezeichneten

Lesbe auf den Spuren des schwulen Vaters

Bereits vor einem Jahr erschienen*, aber wegen der hohen Relevanz nach wie vor besprechungswürdig ist «Fun Home – Eine Familie von Gezeichneten» (Kiepenheuer & Witsch, zirka 35 Franken). Die amerikanische Autorin Alison Bechdel hebt damit autobiografisches Erzählen im Comic auf eine noch nie dagewesene Ebene.

 

Kurz nach dem frühen Unfalltod ihres Vaters – oder war es Selbstmord? – erfährt ihr noch 19-jähriges Alter Ego von ihrer Mutter, dass dieser schwul gewesen sei. Diese späte Erkenntnis erschüttert die Protagonistin, die gerade selber nach langem Hin und Her zu einem Coming-Out durchgerungen hat. Damit zeigt sich jedoch auch endlich eine Gemeinsamkeit zwischen ihr und dem im Familienalltag stets genervt und mit seiner Belesenheit entrückt gewirkt habenden Englischlehrer und Bestattungsunternehmer, der die meiste Zeit penibel mit der und stilvollen Restaurierung des Familienanwesens verbracht hatte. Die junge Alison begibt sich mit detektivischer Genauigkeit auf Spurensuche nach einem Vater, den sie schon zeitlebens vermisste.

 

Bechdel ist es mit «Fun Home» gelungen, in zweckmässig unspektakulärem Zeichenstil in Graustufen sensibel und komplex am eigenen Beispiel eine manchmal durchaus exemplarische Geschichte über Familiengeschichte und -geheimnisse, Geschlechterrollen und Identität zu entwerfen. Nicht zuletzt durch die kunstvolle Einwebung von Zitaten aus der amerikanischen Literatur – inhaltlich ist die Thematik durch die Passion des Vaters gegeben – erhält das Werk einen ungemein geistreichen, aber nie elitären Touch. (scd)

 

* Vor kurzem erst ist übrigens in der «Neuen Zürcher Zeitung» – zweifellos eines der Leitmedien in punkto Kunstkritik in der Schweiz – die Rezension zu «Fun Home» erschienen. Generell macht es oft den Eindruck, als stelle es geradezu das Privileg des Kultur- – im krassen Gegensatz zum Tagesjournalismus – dar, das Erscheinenlassen einer Besprechung nicht im Geringsten abhängig vom Publikationszeitpunkt des Besprochenen zu machen. Dies nur als Randnotiz zu einem vielfach beobachtbaren Phänomen.

 

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Dokumentation auf ARD über Alison Bechdel:

The Spirit: Die besten Geschichten

Die Glanznummern des bonbonbunten Verbrecherjägers

Mit dem Autornamen Frank Miller Kasse zu machen versucht momentan verständlicherweise der Verleger der klassischen «Spirit»-Comicstrips. Zum Start der gleichnamigen Kinoadaption Anfang Februar, bei der Miller Regie führt, wird der Band «The Spirit – Die besten Geschichten» auf den Markt geworfen (Salleck Publications, zirka 22 Franken). Dieser enthält 22 Episoden der wegbereitenden Serie aus der 1940er-Dekade des vor wenigen Jahren verstorbenen Will Eisner.

 

Die Publikation mit ihrer kanonisierenden Auswahlsendung macht Sinn aufgrund der Fülle des Materials, das ausserdem im selben Verlag in hochwertigen und entsprechend teuren Hardcover-Bänden in der Reihe «The Spirit Archive» kontinuierlich erscheint (aktuell: Band 8 mit den Strips von Januar bis Juni 1944*). Ein lesenswertes Vorwort von Comic-Gott Neil Gaiman («Sandman») rundet das positive Gesamturteil ab. Neueinsteiger dürfte jedoch die bonbonbunte Kolorierung abschrecken, welche das schiere Gegenteil der Ästhetik von Millers Verfilmung darstellt, die sich klar im Fahrwasser von «Sin City» bewegt (auch wenn dies der Regisseur negiert). Eine junge Klientel dürfte womöglich – Klassiker hin oder her – mehr Gefallen an den neuen, grafisch zeitgemäss umgesetzteren Abenteuern des Spirit von Darwyn Cooke finden (erscheint bei Panini, siehe Besprechung des ersten Bandes auf Comic-Check »). (scd)

 

* Interessant ist die Begründung des Verlegers Eckart Schott für die momentan noch klaffende Lücke zwischen den Bänden 9 und 12: «Da Will Eisner bei der Armee war, wurden die Bände 6 bis 11 von seinem Studio gezeichnet und getextet und sind entsprechend schwächer als das Nachkriegsmaterial ausgefallen. Um das Risiko beim Verkauf in Grenzen zu halten, haben sich meine Partner und ich für eine alternierende Veröffentlichungsweise entschieden.» Das «Spirit Archive» soll übrigens mit 26 Bänden komplett vorliegen, was einem Verkaufswert von über 2000 Franken für die gesamte Normalausgabe und gegen 3000 Franken für die Vorzugsausgabe entspricht – eine stolze Summe also, die sich wahrlich nicht jeder dürfte leisten können...

 

Übersicht über alle Bände aus dem «Spirit Archive» »

 

Schwerpunkt zu Will Eisners letztem Werk «Das Komplott» »

Die drei Paradoxien

Wo soll es hingehen im Leben, junger Mann?

Paul verbringt einige Tage bei seinen Eltern in einer Kleinstadt irgendwo in Ohio, wo er aufgewachsen ist, und müht sich dort vergebens mit dem Zeichnen eines Comics ab. Bei einem nächtlichen Spaziergang mit seinem Vater werden Kindheitserinnerungen wach. Am Ende des Bandes steht die Rückreise nach Chicago an, wo er seine Internetbekanntschaft Juliane das erste Mal von Angesicht zu Angesicht zu sehen hofft.

 

Dies die knappe Inhaltsangabe von «Die drei Paradoxien» (Carlsen, zirka 31 Franken) von Paul Hornschemeier, der bereits mit dem Vorgänger «Komm zurück, Mutter» einen Achtungserfolg feiern konnte. Bereits beim Durchblättern zeigt sich, dass eine Charakterisierung anhand des Fokussierens auf den Rahmenplot hochgradig unzureichend ist, macht doch die grafische, patchworkartige Komposition die Eigenart und den Wert des Werks aus. In diesem wird nämlich der Hauptstrang der Geschichte einerseits durchbrochen durch Skizzen aus Pauls entstehendem Comic, andererseits durch zwei Erinnerungssequenzen – alles in verschiedenem Stil realisiert. Den Anstoss zur Vergegenwärtigung der Schlüsselsequenzen aus der Kindheit – das Einstecken einer Tracht Prügel durch einen rabiaten Gleichaltrigen sowie der schwere Unfall des Bruders (oder widerfuhr dieser Paul selbst?) beim Räuber-und-Gendarm-Spiel – gibt der angesprochene nächtliche Rundgang durchs Städtchen, mit seinem Vater, dem ehemaligen Schulrektor. Zudem ins Spiel kommt gegen Ende des Bandes der Einschub über Zenons drei Paradoxien, aufgemacht als altes Funny-Comic-Heft «Zeno und seine Freunde».

 

Hornschemeier liefert in seinem sympatischen Independent-Comic mit dem Anschneiden von Themen wie Erinnerung, Lebensphilosophie und -planung einen wertvollen Beitrag in punkto (auto?-)biografisches Erzählen: Der wohl nicht zufällig nach dem Autor benannten Protagonist kommt nicht los vom Sinnieren über das über 2000 Jahre alte Zenon'sche Postulat von der Unmöglichkeit der Bewegung, tut sich selber schwer damit, im Leben vorwärtszukommen – und macht es irgendwie ganz pragmatisch letztlich doch. Durch die verschiedenen grafischen Realisationen soll möglicherweise die Vervielfachung des Seins durch Erzählung und vielleicht auch die Veränderung des Erzählten durch Erinnerung verdeutlicht werden (wobei es jedoch nie zu Überlagerungen der Erinnerungsteile kommt, was eine vergleichende Betrachtung möglich gemacht hätte). Ganz klar erschliesst sich der Sinn der innovativen Idee jedoch leider nicht. Lesenswert ist der Comic trotzdem. (scd)

Welcome to the N.H.K. 1

Himmelhoch jauchzend – und vielleicht etwas verzweifelt

Der Studienabbrecher Tatsuhiro Sato hat die letzten vier Jahre komplett zurückgezogen in seiner Wohnung als so genannter Hikikomori verbracht. Kein Wunder also, dass seine Fantasie bizarre Blüten treibt. Der japanische Sender N.H.K. – so imaginiert Tatsuhiro – plane eine weltweite Verschwörung. Immer gefährlich nahe einem Nervenzusammenbruch stehend, versucht der junge Erwachsene, sein Leben wieder auf die Reihe zu bringen – indem er zusammen mit dem nerdigen Yamazaki ein revolutionäres Erotik-Game im Bereich des Lolicon-Genres entwickelt. Nicht gerade einfacher wird das Ganze, als zudem noch die reizende Misaki die Bildfläche betritt, die Tatsuhiro von seiner Sozialphobie befreien will.

 

So weit eine knappe Inhaltsangabe des ersten Bandes von «Welcome to the N.H.K.» von Kendi Oiwa und Tatsuhiko Takimoto (Carlsen Manga, zirka 14 Franken). «N.H.K.» steht dabei für die von Tatsuhiro gegründete Organisation «Nihon Hikkikomori Kyoukai» (Japanische Hikikomori-Gesellschaft). Der mit vernünftigen acht Bänden abgeschlossenen Serie dürfte bei Jugendlichen wohl ein ziemlicher Erfolg beschieden sein. Nur schon von rein inhaltlicher Seite, die mit Themen wie Weltverschwörung, Cocooning, Online-Süchten, Verliebtheit, einer braven Prise Erotik und (sanften) Rebellion lockt. Auch grafisch weiss «N.H.K.» mit seinem zwar recht konventionellen, aber niedlichen Stil und kaum das Schema aufbrechenden Panelaufteilung grosso modo zu gefallen. Eine erwachsene Leserschaft dürfte die Exaltiertheit und die so charakteristische übertriebene Darstellung von (vom Plot her meistens unmotiviert extremen) Gefühlswallungen des Entwicklungs-Spätzünders irritieren und mit der Zeit auch etwas auf die Nerven gehen. Zudem ist die Story natürlich recht naiv und realitätsfern, dafür wenigstens optimistisch und kulturbejahend aufgezogen. Alles in allem: So für zwischendurch durchaus unterhaltsam. (scd)

 

Die ganze Serie mit Erscheinungsdaten im Überblick » 

 

Mehr zum Hikikomori-Phänomen »

Der alltägliche Kampf 4: Gewissheiten

Zu Papier gebrachte Lebenserfahrung

Der riesennasig gezeichnete Protagonist Marco ist Fotograf – und Papi der kleine Maude. Durch seinen Alltag als Vater und eine Reportage über eine Werft in seinem Heimatdorf, der die Schliessung droht, findet er sich jäh in seine eigene Kindheit zurückversetzt. Und da wäre ja auch noch die lange Nacht nach dem Abend, an dem Sarkozy gewählt wird. Diese schlägt sich Marco mit einem verbitterten und angetrunkenen Werftarbeiter und Kollegen seines verstorbenen Vaters um die Ohren. Und das Leben geht weiter... Ist seine scheinbare Midlife Crisis im Grunde nicht viel mehr ein Symptom, eine Reaktion auf eine Gesellschaft, die über die Jahre eine andere geworden ist?

 

Für den Neuling lässt der Vermerk auf der ersten Seite «Gewissheiten», dass es sich um eine durch das französische Kulturministerium ermöglichte Publikation handelt, nichts Gutes erahnen – aus welchem diffusen Grund auch immer. Gekoppelt mit dem Verlagsnamen Reprodukt und der Tatsache, dass sich der vierte und letzte Band des Zyklusses «Der alltägliche Kampf» (zirka 24 Franken) von Manu Larcenet durchaus auch ohne die Vorgängeralben inhaltlich verstehen und geniessen lässt, sind diese Zweifel jedoch im Nu weggefegt.

 

Auch zeigt sich bald, dass darüber etwas zu schreiben sich als gar nicht so einfaches Unterfangen erweist – es sei denn, man tut sich nicht schwer damit, mit exzessivem Superlativ-Gebrauch Gemeinplätze auszuloten. Ein knapper Versuch: Bei «Gewissheiten» handelt es sich um ein bemerkenswert tiefgründiges und geistreiches Werk, das gleichzeitig kurzweilig zu konsumieren ist. Larcent – unter anderem durch die «Donjon»-Kooperationen mit Joann Sfar und Lewis Trondheim als Zeichner aufgefallen – beweist einmal mehr, dass Zeichenstil und Inhalt keineswegs in irgendeiner Form miteinander gekoppelt gedacht werden müssen. Mehr noch: Der in stilisierte Grafik verpackte Plot gewinnt durch die Reduktion paradoxerweise zusätzlich an Realitätsgrad – ein Effekt, der schon beim diesbezüglichen Wegbereiter «Maus» von Art Spiegelman zu beobachten war. Larcent entwirft im Comic eine Welt voller Melancholie – in der die Hoffnung nie ganz stirbt. Unspektakulär und nie banal. (scd)

 

Comics von Manu Larcent bei Reprodukt mit Leseproben »

Tim und Struppi Farbfaksimile 3: Die Zigarren des Pharaos

Gewitzter Reporter stösst in mystische Sphären vor

Tim und Struppi befinden sich auf einer Schiffsreise, die sie vom Mittelmeer durch den Suezkanal bis nach Schanghai führen soll. Durch eine Intrige wird Tim in Port Said des Rauschgiftschmuggels verdächtigt und verhaftet. Zwar gelingt dem pfiffigen Reporter die Flucht aus seiner Kabine – aber damit fängt das Abenteuer erst an: In einem alten ägyptischen Tempel macht Tim eine fürchterliche Entdeckung.

 

Im dritten Band «Die Zigarren des Pharaos» (Carlsen, zirka 33 Franken) der Farbfaksimile-Reihe bekommen die Abenteuer von Tim und Struppi eine neue Dimension: Einerseits besteht die Handlung nicht mehr einfach aus aneinandergehängten Einzelepisoden wie etwa noch in «Tim im Kongo» und «Tim in Amerika», sondern hat eine komplexere Struktur bekommen. Andererseite entdeckt Hergé, inspiriert durch Artikel über den Fluch des Tut-Ench-Amon aus der Sensationspresse, das Geheimnisvolle und Übernatürliche – ein Element, dem in den Nachfolgebänden ein fester Platz zugestanden wird. Zudem ist dies der Band, in dem das allzu dümmliche Geheimpolizisten-Paar Schulze und Schultze, aber auch Tims wohl härtester Kontrahent Rastapopoulos eingeführt wird.

 

Die ursprüngliche, 124 Seiten fassende Schwarzweiss-Fassung wurde ab Ende 1932 während 14 Monaten in Teilen veröffentlicht. 1955 erfolgte die erste, noch 64 Seiten starke Farbfassung, die es jetzt erstmalig als Reprint auf Deutsch zu kaufen gibt. Da das Abenteuer von drei auf vier Panelzeilen pro Seite umgesetzt wurde, mussten im Vergleich zur Urfassung beinahe keine Szenen weggelassen werden. Für Schmunzeln sorgt die abgeänderte Szene, wo sich ein Scheich als Leser von «Tim und Struppi» outet – und dem Protagonisten als Beweis das Album «Reiseziel Mond» (und nicht mehr «Tim in Amerika» wie in der ersten Fassung) zeigen lässt. Ein ungemeiner Vorgriff in der Erzählzeit, spielten in diesem Band doch die zur Zeit von «Die Zigarren des Pharaos» noch unbekannten Figuren Haddock und Bienlein mit...

 

Was den Sammler schmerzen dürfte, ist der Umstand, dass die letzte Seite des Comics – aus welchen Gründen auch immer – schlicht und einfacht fehlt. Bei Carlsen ist das Problem jedoch nicht bekannt, auch aus dem Buchhandel habe es keine Beanstandungen gegeben, wie es auf Anfrage hiess; womöglich handelt es sich also um einen Einzelfall. Zudem wäre ein Vor- respektive Nachwort mit einem Vergleich aller drei Versionen bei allen Bänden der Reihe mehr als sinnvoll gewesen. (scd)

 

Ausführlicher Artikel auf Comic-Check zum ersten Band der Farbausgabe »

Strain 2: Familientreffen

Engelsgesicht wird langsam richtig böse

Yang und seine Frau, zwei zerschlagene Körper, liegen auf dem Boden. In der Mitte des kargen Raums steht Angel. Der Berg an Muskelmasse in Polizeiuniform hofft, durch die beiden Opfer sein eigentliches Ziel, den Auftragskiller Mayo, anlocken zu können. Er setzt sich eine Nadel in die Zunge und lässt eine flüssige Substanz durch die Kanüle schiessen. Dann knöpft er sein Hemd auf, betätigt den Reissverschluss seines Hosenladens. Kommentar: «Wenn ich mir vorstelle, dass Mayo gleich hier auftacht, macht mich das richtig scharf.» Szenenwechsel. Dann sieht man Yang – am Boden kauernd, mit besudeltem Hintern.

 

Es sind genau solche Szenen exzessiver Gewalt, bei denen man sich fragt, weshalb man den zweiten Band «Familientreffen» der Serie «Strain» von Buronson und Ryoichi Ikegami überhaupt ausliest. Gleichzeitig sind es wohl gerade auch diese Panelfolgen, durch welche die Reihe finanziell gewiss erfolgreich sein dürfte. Eine adäquate Beurteilung zusätzlich erschwerend macht der Umstand, dass man beileibe nicht so ohne weiteres sagen kann, dass der Thriller nicht spannend oder intelligent aufgemacht wäre. Nach wie vor zu kritisieren bliebe bei der auf fünf Bände angelegten Reihe höchstens nach wie vor, dass weniger manchmal mehr wäre. Denn das Ziel ist ja klar: Mayo möchte sich an seinem Bruder rächen, der ihn einst durch eine Intrige in den Tod zu schicken hoffte, um die alleinige Führung des mächtigen Kusaka-Konzerns übernehmen zu können. Und dies wird dem engelsgesichtigen Jüngling unzweifelhaft auch gelingen. Dass ihm dabei sicher noch fünfmal der sado-masochistische Angel in den Weg treten – dieser sitzt jetzt übrigens nach Mayos Attacke vorübergehend im Rollstuhl und hat Rache angedroht, sobald sein Glied wieder einsatzbereit sei (!) – und das Steigerungsspiel in Sachen Gewalt fortgesetzt wird, wirkt auf die Dauer nur noch ermüdend. (scd)

 

Zur Besprechung des ersten Bandes auf Comic-Check »

 

Schwerpunkt zur «Shodoku»-Reihe »

The Punisher: Garth Ennis Collection 1

Rachsüchtige Ein-Mann-Armee im Blutrausch

Frank Black: Die 1974 ins Marvel-Universum eingeführte Figur ist wohl eine der kompromisslosesten und am meisten diskutierten: Unter seinem Alias «The Punisher», das Programm hat, treibt er die bereits aus der Kleist’schen Novelle «Michael Kohlhaas» vor 200 Jahren bekannte Frage «Wie viel Recht braucht es bis zum Unrecht?» ad absurdum: Seine Familie ist von Gangstern ausradiert worden – jetzt zieht der Punisher als selbsternannter Rächer durch die Strassen und «säubert» diese von der Unterwelt, und zwar erschreckend effizient. Im Gegensatz zu anderen Vigilanten im Superhelden-Kosmos bleiben dabei moralische Fragen dabei gänzlich aussen vor: Der Punisher kennt keinen Ehrenkodex und seine Vorgehensweise ist oft noch grausamer als die seiner ja eigentlich bereits amoralischen Widersacher.

 

Mit seinem Run seit dem Jahr 2000 hat das Dream-Team Garth Ennis und Steve Dillon dem «Punisher» seinen ganz eigenen, von «Preacher» von denselben Machern nur zu bekannten Stempel aufgedrückt. Herausgekommen ist ein ultrabrutales, tiefschwarzes Machwerk, das jetzt in gesammelter Form neu aufgelegt wird (Panini, je zirka 44 Franken, Band 3 in Vorbereitung). Dies nachdem viele Einzelausgaben der Serie, die laut Vorwort zu den «erfolgreichsten Publikationen von Panini Deutschland» zählt, schon länger vergriffen sind. Dementsprechend ambivalent fällt das Urteil aus: Das Ganze ist unleugbar extrem cool aufgemacht – kaputter Held, der einiges einstecken muss, markige Sprüche, explodierende Köpfe –, daher wohl auch der Erfolg. Und einige Szenen haben es wirklich in sich: So wird etwa relativ am Anfang Daredevil zur Schnecke gemacht; dann wäre da noch der auf mehreren Seiten zelebrierte Zweikampf mit dem «Russen», die auch in der blutleeren Verfilmung aus dem Jahr 2004 zum Tragen kommt, zu erwähnen. Und auch an absurden Einfällen (von Eisbären angefallene Gangsterchefin kommt später arm- und beinamputiert wieder ins Spiel) und Plotwendungen (krudes Nachwuchs-Rächertrio möchte sich dem Punisher anschliessen) fehlt es nicht.

 

Doch wie etwa auch beim Manga «Strain» stellt sich halt doch schon recht bald mal die Frage, was die Gewaltorgie eigentlich soll, woraus das Verlangen gestrickt ist, das nach solcher Lektüre greifen lässt. Im Gegensatz zu diesem Manga-Thriller ist das Ganze hier wenigstens ironisch gebrochen und kommt nicht pseudo-pathetisch und ernsthaft daher. Natürlich: Das Blut bleibt dasselbe. Zudem mutet der Zeichenstil leider oft – gerade auch mit seinen Photoshop-Farbverläufen – wie ein billiger Abklatsch von «Preacher» an; der konventionelle Seitenaufbau ist derselbe geblieben. Trotzdem – bei unkritischer Lesart: Unterhaltsam! (scd)

 

Übersicht über sämtliche auf Deutsch erschienene «Punisher»-Comics »

Yoko Tsuno Sammelband 3: Jagd durch die Zeit

Vom 39. Jahrhundert zurück in die Vergangenheit

Der dritte Sammelband enthält die Abenteuer Yoko Tsunos, in denen sie durch die Zeit reist (Carlsen, zirka 51 Franken). Er enthält die Bände 11 («Die Zeitspirale»), 17 («Die Rache der Dämonen») und 20 («Der Astrologe von Brügge»).

 

Yoko besucht in den ab 8 Jahren empfohlenen Episoden von Roger Leloup mit einer Zeitmaschine aus dem 39. Jahrhundert verschiedene Epochen, um größere Katastrophen zu verhindern. Sie reist dafür in die Zeit des Zweiten Weltkriegs, in das Bali des Jahres 1350 und das Brügge des 16. Jahrhunderts. Dabei begleitet sie Monya, ein Mädchen aus der fernen Zukunft. (scd/pd)

 

Ausführlichere Besprechung des zweiten Sammelbandes auf Comic-Check »

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