Brodie’s Law 1: Projekt Jameson

Gestaltwandler auf Rachefeldzug

Der Ärger steht ihm förmlich ins Gesicht geschrieben: Wo Jack Brodie – ein muskulöser, rückendeckend tätowierter, unrasierter Koloss mit zerbeulter Visage und wild zerzaustem Haar  – auftaucht, ist der Ärger nicht weit. Der Anti-Held schlechthin: Immer zur falschen Zeit am falschen Ort. Als seine crack-süchtige Frau ermordet, sein Sohn entführt wird und er wegen einer gestohlenen Diskette in Teufels Küche gerät, sieht Brodie rot – und räumt grosszügig auf.

 

Ein nur zu typisches Rache-Epos, mag man denken. Doch diese klare Genre-Zuweisung würde «Brodie’s Law: Projekt Jameson» des britischen Autorenduos Daley Osiyemi und David Bircham nur bedingt gerecht (Cross Cult, ca. 35 Franken). Es handelt sich dabei nämlich gleichzeitig auch um die Odyssee eines bereits zu Beginn innerlich zerrütteten Mannes, der durch ein Selbstexperiment mit einer neuartigen Substanz fähig wird, in den Körper Anderer einzutauchen, deren Gestalt anzunehmen. Dies hievt die ganze Story auf eine ganz neue Ebene. Der Comic ist inhaltlich nicht der ganz grosse Wurf, doch der Wandlungseinfall sorgt für Komplexität und die Dialoge können als gelungen bezeichnet werden.

 

Mehr punkten kann «Brodie’s Law » dank seiner visuellen Sprache: Die düstere Farbgebung und vor allem das innovative Spiel mit den Panels und die beeindruckende Bandbreite der verwendeten Einstellungen und Blickwinkel lassen aufhorchen. Da erstaunt es auch nicht weiter, dass eine Verfilmung (durch «Stirb langsam 2»-Regisseur Renny Harlin) bereits in den Startlöchern ist.

 

Als weitere aktuelle und empfehlenswerte «Hard Boiled»-Krimis sind Brian Azzarellos und Eduardo Rissos «100 Bullets 2: Die zweite Chance» (Panini, ca. 32 Franken) und Ed Brubakers und Sean Phillips «Criminal 1: Feigling» (Panini, 24 Franken) zu nennen. (scd)

Fables: 1001 schneeweisse Nächte

Alte Mythen in neuem Gewand

Mit dem Beginn der preisgekrönten Serie «Fables» des amerikanischen Autors Bill Willingham im Jahr 2002 hat sich ein ganz neues Fantasy-Universum aufgetan: Eine Welt, in der die uns alle bekannten Figuren aus Märchen und Sagen wie etwa der grosse böse Wolf oder Prince Charming in der modernen Stadt Fabletown real miteinander zusammenleben – mit allen Hochs und Tiefs, die dieser Umstand mit sich bringt. Was mit der Frage, wer Schneeweisschens Schwester Rosenrot auf dem Gewissen hat, als eine Art unüblicher Whodunit auf viel versprechender Basis begann, setzte sich in den Folgebänden als intelligentes Potpourri lose miteinander verknüpfter Geschichten fort, in denen das Figurenarsenal sukzessive erweitert wurde. Die einzige bisherige Irritation: Der Zeichenstil, der weit davon entfernt war, in irgendeiner Weise progressiv zu sein und damit scheinbar konträr zum anspruchsvollen Erzählgestus stand.

 

Dies hat sich nun mit dem fünften Band «Fables: 1001 schneeweisse Nächte» radikal geändert:  Als eine Art Grimm’sche Scheherazade aufgegleist, enthält der Band elf von einem Nur-Text-Plot gerahmte Kurzgeschichten aus der Vor-Fabletown-Zeit, illustriert von alten und neuen Meistern (Panini, ca. 30 Franken). Die Palette reicht dabei vom gemäldeartigen und gleichzeitig plastischen Stil eines John Bolton über die Aquarelltechnik Mark Buckinghams bis hin zu Tara McPhersons unverkennbarem Blassgesichter-Pastell-Artwork. Eine Augenweide – und zumindest ebenbürtig zum vom formalen Ansatz her gleichen «Sandman»-Projekt «Ewige Nächte». (scd)

Whiteout 1

Weiss, so weit das Auge reicht

Grafisch vergleichsweise unspektakulär kommt «Whiteout» von Greg Rucka und Steve Lieber daher (Cross Cult, ca. 30 Franken). Doch das schwarz-weiss gehaltene Layout und der reduzierte Strich machen hier durchaus Sinn: Szenerie des Krimis ist das ewige Eis der Antarktis. Als ein tiefgefrorener Leichnam eines Forschers mit gespaltenem Schädel gefunden wird und bald weitere Morde folgen, beginnt in dieser weissen Hölle für Carrie Stetko, den einzigen US-Marshal auf dem Kontinent, ein Wettlauf gegen die Zeit: Sie muss den Fall lösen, bevor die Polarnacht hereinbricht und sie mit dem Mörder eingeschlossen wird.

 

Auch wenn sich die Spannung aufgrund der insgesamt langsamen Erzählweise in Grenzen hält: «Whiteout» ist allein wegen der gut eingefangenen Atmosphäre und der gelungenen Charakterzeichnung anlesenswert. Rucka ist es wieder einmal erstaunlich gut gelungen, eine starke und authentische Frauenfigur mit Ecken und Kanten schaffen. Es bleibt abzuwarten, ob Kate Beckinsale, welche die Protagonistin in der kommenden Filmadaption mimt, die mehrfache Fingeramputation auch nicht erspart bleibt… (scd)

WILDC.A.T.S: Rückkehr nach Khera

Nur für Fortgeschrittene

Wo Alan Moore («V wie Vendetta», «Watchmen») auf dem Buchdeckel steht, darf intelligente Comic-Kost erwartet werden. Und es soll auch gar nicht abgestritten werden, dass sein neuestes auf Deutsch übersetztes Werk «WILDC.A.T.S: Rückkehr nach Khera» dies wäre – theoretisch (Panini, ca. 32 Franken).

 

Doch einfach wird es dem Leser in der insgesamt über 400-seitigen Superhelden-Saga, von der jetzt die erste Hälfte vorliegt, nicht gemacht: Zum einen dürfte hierzulande wahrlich nicht jeder Marvel-/DC-Fan auch mit dem weitläufigen WILDC.A.T.S-Kosmos vertraut sein. Und die non-lineare Erzählstruktur trägt das Übrige zur Schwierigkeit bei, überhaupt erst richtig in die Story reinzukommen und herauszufinden, wer jetzt genau mit wem und warum und überhaupt. Prädikat: Nur für Fortgeschrittene zu empfehlen. (scd)

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