Der erste Frühling

Vom Elend nach dem Krieg

Berlin im Frühjahr 1945: Die Alliierten fliegen die letzten Bombenangriffe und gleichzeitig kommt «Iwan», wie die Rote Armee im damaligen deutschen Volksmund genannt wird, immer näher. In den KZs geht derweil das Morden weiter. Verzweifelt versuchen die Nazis, die Ordnung in der zerstörten Hauptstadt aufrechtzuerhalten und mobilisieren sogar Kinder. Das Essen ist knapp, Elend und Angst greifen um sich. Dies ist das Umfeld der zwölfjährigen Änne, die bei ihren Grosseltern wohnt, welche in Dissidentenkreisen verkehren. In diesem ersten Frühling ohne Krieg steht plötzlich Ännes Vater vor der Tür, der das KZ Buchenwald überlebt hat. Eine neue Zeit beginnt.

 

Christoph Heuer und Gerlinde Althoff ist es erstaunlich gut gelungen, den vielfach ausgezeichneten Roman «Der erste Frühling» (Carlsen, zirka 26 Franken) von Klaus Kordon ins Medium der Comics zu übertragen. Die so virulente Frage der kollektiven Mittäterschaft wird differenziert angegangen, nichts beschönigt oder ausgelassen. Aus dem Blickwinkel von Änne entsteht zusammen mit dem sorgfältig rekonstruierten Stadtbild Berlins ein lebendiges Stück Geschichte, das den Vergleich mit Keiji Nakazawas Manga-Klassiker «Barfuss durch Hiroshima» nicht zu scheuen braucht. (scd)

Spider-Man Zeitungsstrips 1

Netzkrabbler im klassischen Strip

Passend zum Kinostart des letzten Teils der durchs Band superben «Spider-Man»-Trilogie veröffentlicht Panini in zwei Bänden zum ersten Mal auf Deutsch die vollständige Ausgabe der Ende der 70er-Jahre kontinuierlich erschienenen «Spider-Man»-Zeitungsstrips (zirka 52 Franken).

 

Die durchgängig in schwarz-weiss gehaltenen und auf Grund des Mediums Cliffhanger-reichen Erzählungen des Über-Duos Stand Lee und John Romita Sr. sind zum einen ein Retro-Augenschmaus und ergänzen zum anderen das seit einigen Monaten in der «Marvel History»-Reihe begonnene Gesamtausgabe der «Spider-Man»-Hefte aufs vorzüglichste. (scd)

Ghostrider: Die Strasse zur Verdammnis

Lahmer Höllenbiker

Leider weit weniger gelungen ist da die von Garth Ennis geschriebene «Ghostrider»-Story «Die Strasse zur Verdammnis» (Panini, zirka 29 Franken). Diese kommt wie der Film mit Comic-Fanatic Nicolas Cage als Biker aus der Hölle nicht über das Mittelmass hinaus - dafür ist die Story viel zu simpel gestrickt. Das Figurenarsenal (wabernde Fettsäcke und dubiose Erzengel) scheint direkt aus Ennis' schwarzhumoriger Kultserie «Preacher» (die jetzt übrigens in Bälde endlich wieder neu aufgelegt wird) rezykliert worden zu sein.

 

Der Grund, weshalb man trotz dieser Schwächen ausliest, ist Clayton Crains faszinierendes und zugleich irritierendes Artwork, welches unentschlossen zwischen Fotorealismus und cartoonartiger Stilisiertheit hin- und herpendelt. Insgesamt ein solider Actioncomic ohne Tiefgang. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. (scd)

Marvel Enzyklopädie

Grandioses Kompendium

Spider-Man hin, Ghostrider her: Wer ein Superheldencomics-Fan ist, wird um den Kauf der «Marvel Enzyklopädie» (Panini, zirka 146 Franken) wohl kaum umhinkommen. Der Preis ist zwar stolz, dafür bietet der grossformatige, gebundene, 350 Seiten starke Band aber auch wirklich einiges und wird seinem Anspruch, «das umfassende Nachschlagewerk zu allen Charakteren des Marvel-Universums» zu sein, auch tatsächlich gerecht.

 

Sowohl für den Neueinsteiger als auch für den Crack dürfte der Band eine unverzichtbare Hilfe sein, um sich im Marvel-Charakterendschungel und seinen Paralleluniversen zurechtzufinden. Doch schnell zuschlagen: Das Sammelsurium ist auf 999 Stück limitiert. (scd)

Der dunkle Ritter schlägt zurück

Bonbonbunter Flattermann

Auch aus dem Hause DC ist mit der Wiederauflage von Frank Millers «Batman»-Story «Der dunkle Ritter schlägt zurück» (Panini, zirka 35 Franken) Erfreuliches zu vermelden. Doch drehen wir das Rad der Comicgeschichte zurück: Zusammen mit Alan Moores «Watchmen» (1986/87) und «Batman: The Killing Joke» (1988) läutete Miller («Sin City», «300») mit seinem epochalen «Die Rückkehr des dunklen Ritters» im Jahr 1986 eine neue Ära des Superheldencomics ein. Eine Ära, in der einst so strahlende Helden wie Batman oder Superman ihre Unschuld definitiv eingebüsst hatten und letztlich nicht minder radikal als ihre Widersacher zu sein schienen. (Siehe dazu auch die formidable Graphic Novel «Arkham Asylum» von Grant Morrison und Dave McKean.)

 

Über ein Jahrzehnt später machte sich Frank Miller an die Fortsetzung von «The Dark Knight Returns» – das Buch verkauft sich zwar blendend, die Reaktionen bleiben jedoch sind gemischt. Dies hat vor allem mit dem doch recht gewöhnungsbedürftigen Artwork zu tun, das im Gegensatz zu seinem Vorgänger knallbunt daherkommt und viel zu fest in einer bestimmten Zeitperiode verhaftet ist (Photoshop-Euphorie), um - auch wenn die Story nicht schlecht ist - wirklich das Zeug zum Klassiker zu haben. Jedenfalls eine sinnvolle Ergänzung zum Vorgänger und für den Miller-Anhänger ohnehin essenziell. (scd)

Goethe / Autoroute du soleil

Re-Releases sind Trumpf

Auch ausserhalb des zurzeit beinahe omnipräsenten Superhelden-Genres gibt es einiges zu berichten: Zum 175. Todesjahr von Goethe wartet Ehapa mit einer schmucken Gesamtausgabe der vormals in zwei Alben erschienenen Goethe-Comic-Biografie «Zum Sehen geboren – Zum Schauen bestellt» (zirka 25 Franken) auf. Das in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut herausgegebene und von deutschen Comicautoren realisierte Werk verwebt Leben und Œuvre des deutschen Dichterfürsten zu einem kunstvollen Ganzen und wird bestimmt nicht nur Pädagogen gefallen. (Autoren: Friedemann Bedürftig/Christoph Kirsch/Thomas von Kummant/Benjamin von Eckartsberg) (scd)

Ebenfalls berechtigterweise neu aufgelegt worden ist der preisgekrönte Comicroman «Autoroute du soleil» (Carlsen, zirka 35 Franken) des Franzosen Baru, in dem es unverblümten realistisch zu und her geht: Auf über 400 Seiten erzählt Baru mit eigenwilligem Strich von der Odyssee zweier junger Immigranten, die von ihren rassistischen Widersachern quer durch Frankreich gejagt werden. Sichtbar wird dabei ein anderes, dunkles, von postkolonialen und sozialen Konflikten durchzucktes Frankreich. (scd)

A Scanner Darkly – Alles wird nicht gut

Drogen-Dystopie

Soeben erschienen ist «A Scanner Darkly – Alles wird nicht gut» (Schirmer/Mosel, zirka 36 Franken), eine Comicadaption nach dem gleichnamigen letztjährigen Film von Richard Linklater nach dem Roman von Philip K. Dick von 1977 (auf Deutsch als «Der dunkle Schirm» erschienen). So weit, so kompliziert. Doch wer ist dieser Dick eigentlich? Einer der einflussreichsten SciFi-Autoren, der die Vorlagen für Verfilmungen wie «Total Recall», «Minority Report» und nicht zu vergessen: «Blade Runner» geliefert hat (Lesetipp für Einsteiger: die Kurzgeschichtensammlung «Der unmögliche Planet»). Die Besetzung von Linklaters Film ist mit Keanu Reeves, Robert Downey Jr., Woody Harrelson und Wiona Ryder sehr prominent ausgefallen – trotzdem hat der Streifen hier zu Lande kaum Beachtung gefunden.

 

Aus einem simplen Grund: Nach dem Dreh als Realfilm unterzog Linklater diesen dem so genannten Rotoskopie-Verfahren, mit dem die realen Bilder mit Zeichentricktexturen überlagert werden. Aus den mit Sprechblasen versehenen Standbildern nun auch noch einen Comic zu machen, war mehr als nahe liegend. Das Resultat kann sich sehen lassen: Etwas statisch wirkt der knapp 200-seitige Comicroman zugegebenermassen schon, doch die Grafik hat einen wirklich edlen Touch. Und die Story, bei der es um eine bewusstseinsspaltende HighTech-Droge geht? Wie immer, wenn Philip K. Dick seine Finger im Spiel hat: Ausgeklügelt und in höchstem Masse verstörend. (scd)

Sandman 1

Unerreichte Graphic Novel

Zu guter Letzt noch der Hinweis auf zwei weitere Re-Releases, auf die sich das lange Warten mehr als gelohnt hat: Denn sowohl Neil Gaimans «Sandman» (1988-1996) als auch Will Eisners «The Spirit» (1940-1952) haben massgeblich dazu beigetragen, dass das Medium Comic heute zu Recht den Titel der neunten Kunst trägt. Panini bringt den insgesamt über 2000 Seiten starken «Sandman»-Zyklus in sechs Bänden (je zirka 35 Franken) neu heraus.

 

Der erste Band «Präludien & Notturni» ist bereits erschienen, der zweite «Das Puppenhaus» in Vorbereitung. Eine klare Inhaltsangabe gestaltet sich als problematisch: Vereinfacht kann gesagt werden, dass sich die Geschichte hauptsächlich um Sandman, den Herrscher des Traumreiches dreht - der mythologiegetränkte Plot ist jedoch genreübergreifend. Der heterogene Eindruck wird durch die Realisation von Gaimans Ideen durch verschiedene Zeichner noch verschärft. (scd)

The Spirit Archive 13

Der Altmeister ist zurück

Mindestens von ebenso grosser Wichtigkeit ist die chronologische Neuausgabe von Will Eisners «The Spirit» (Verfilmung in Vorbereitung), der als Gründervater der Graphic Novel angesehen wird. Soeben ist der 13. Band  mit den Zeitungsstrips vom 7. Juli bis 29. Dezember 1946 um den cleveren Verbrecherjäger erschienen (Salleck Publications, je zirka 84 Franken, Luxusausgabe je zirka 110 Franken). Ein nicht ganz billiges Vergnügen, doch die Bände kommen dafür auch in sehr schöner Ausstattung und mit fundierten Vorworten daher.

 

Zudem eignet sich die Serie vorzüglich, um die Anatomie des Comicstrips an sich zu untersuchen, denn in «The Spirit Archive» wird tatsächlich exemplarisch sichtbar, wie «grafisches Erzählen» (so der Titel eines Sekundärwerks von Eisners) funktioniert. Auch Carlsen hat das Erbe des vor kurzem verstorbenen Will Eisner wiederentdeckt und veröffentlicht im Laufe der kommenden Monate drei Bände, angefangen mit dem bahnbrechenden Comicroman «Ein Vertrag mit Gott». (scd)

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