Sambre

Die Revolution der roten Augen

Mit «Sambre» erscheint ein Klassiker der Comic-Literatur neu in einer Gesamtausgabe. Die Familien-Saga um eine tiefe, leidenschaftliche Liebe erhält nun auch ein Se- und Prequel.

Viele Geheimnisse ranken sich um den Clan der Sambre. Nach aussen hin eine geachtete Familie mit stattlichem Landgut in der französischen Provinz des 19. Jahrhunderts, doch innen lauern Abgründe. Hugo Sambre, der Patriarch des Clans, nimmt sich das Leben, nachdem er beim Verfassen seines Lebenswerks – einer obskuren Beschreibung eines Kriegs zwischen Menschen mit verschiedenen Augenfarben – dem Wahn verfällt. Kurz darauf verlieben sich sein Sohn Bernard und die Wilddiebin Julie ineinander.

 

Nicht nur der soziale Unterschied lässt die Beziehung unter einem unglücklichen Stern stehen. Auch die posthume Verfügung des Vaters, dass nur Personen mit schwarzen oder braunen Augen den Herrensitz der Sambre betreten dürfen – denn Julies Augen sind rot, feuerrot. Und laut der Prophezeiung des Vaters wird eine Person mit genau dieser Augenfarbe den Niedergang des Clans bewirken. Die Intrigen der Familie zwingen Julie nach Paris zu flüchten, Bernard folgt ihr. So geraten die beiden in die Wirren der Februarrevolution von 1848, wo nicht nur auf sie gerichtete Gewehrläufe lauern, sondern auch die Offenbarung eines erschütternden Familiengeheimnisses wartet.

 

Neuauflage nach über 20 Jahren
Die ursprünglich von 1986 bis 1996 in vier Bänden publizierte Geschichte ist auf Deutsch nun als Gesamtausgabe erhältlich. Die tragische Liebesgeschichte um Bernard und Julie, die vom Duo Yslaire, einem Belgier, der eigentlich Bernard Hislaire heisst, und dem Franzosen Balac alias Yannick Le Pennetier, stammt, gilt gemeinhin als etwas vom Romantischsten, was die Comic-Literatur zu bieten hat.

 

Auch vom Gestalterischen her präsentiert sich «Sambre» auf eine einzigartige Weise. Vor allem das Spiel mit der Farbe rot beeindruckt. Oft werden die Hintergründe auffallend trüb und dunkel gehalten – so stechen Julies Augen, die Haare der Sambres oder Details wie die Morgenröte oder Bluttropfen durch den entstehenden Kontrast noch mehr hervor. Auf diese Art entwickelt der Comic eine eigene Ästhetik, die den Leser unweigerlich in seinen Bann zu ziehen vermag. Die Geschichte wird in eher kleinformatigen Bildern vorangetrieben, die häufig wortlosen Passagen sorgen für einen besonderen Lesefluss.

Alte Geheimnisse gelüftet

Neben der Neuauflage der bereits erschienen Episoden bringt Carlsen neue Bände heraus, welche die vorangehenden und nachfolgenden Ereignisse zur Haupthandlung zeigen (je zirka 30 Franken). «Verflucht sei die Frucht ihres Leibes!» spielt zehn Jahre nach den Ereignissen in Paris und zeigt, wie Julie wegen ihrer Beteiligung an «revolutionären Umtrieben» ein Dasein im Kerker fristen muss, während ihr Sohn bei den Sambres auf dem Land grossgezogen wird.

 

In «Krieg der Sambres: Hugo und Iris», bei der die Zeichner Jean Bastide und Vincent Mezil mitgewirkt haben und deren dritter Teil auf den Februar 2011 angekündigt ist, wird das Leben des grossen Abwesenden in der Hauptgeschichte thematisiert: Hugo Sambre. Dabei werden diverse offene Fragen und Geheimnisse enthüllt, welche bereits im Plot um Bernard und Julie angedeutet werden. Der Leser erfährt, dass die Inspiration für Hugos seltsames Lebenswerk eine uralte Fundstätte mit Höhlenmalereien und seine Geliebte namens Iris ist – deren Augen ebenfalls rot sind. Es ist geplant, diesen und weitere Handlungsstränge in künftigen Bänden genauer zu beleuchten.

 

Sasa Rasic, im Juni 2010

 

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Zuerst erschienen in der Neue Luzerner Zeitung am 29. Juni 2010.

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