2. Weltkrieg

Zwischen Kollaboration und Widerstand

Französische Comics über die Zeit der deutschen Besatzung während des Zweiten Weltkriegs versuchen entweder Kinobilder oder den realistischen Alltag nachzuzeichnen. Eine Bestandsaufnahme.

Der aus Rumänien emigrierte Jude Joseph Joanovici handelt im Frankreich der Zwanzigerjahre mit Schrott. Bei ihrer Ankunft waren er und seine Frau völlig mittellos gewesen, während der deutschen Besatzung soll er zu einem der reichsten Männer Frankreichs werden. Sein aussergewöhnlicher Charakter macht ihn zum «König von Paris». Nur ein Richter verfolgt seine Spur über Jahrzehnte hinweg.

 

Mit dem Titel der sechsteiligen Serie «Es war einmal in Frankreich» (Zack) stellen Fabien Nury und Sylvain Vallée einen direkten Bezug zu Sergio Leones monumentalem Film «Es war einmal in Amerika» her. Darin arbeiten sich Robert De Niro und James Woods als Gangster im New York der Zwanzigerjahre hoch. Man kann in dem Comic ebenso einige Anklänge an «Der Pate II» entdecken: Die zahlreichen Rückblenden und Parallelmontagen stellen Szenen aus dem Leben eines mittellosen Immigranten gegeneinander, der aus dem Nichts heraus ein zwielichtiges Imperium errichtet. Sein Aufstieg und Fall erzählt nicht allein eine persönliche Geschichte, sondern repräsentiert die Möglichkeiten, die das Land dem Fremden bietet.

 

Aus den Bildern von Nury und Vallée spricht stärker die Filmgeschichte als die Geschichte Frankreichs. Die Wohnungen und die Strassen von «Es war einmal in Frankreich» könnten ebensogut das Setting für einen amerikanischen Film Noir abgeben. Auch die Kleidung hat kein unterscheidbares historisches Aussehen. Den Bilder haftet eine Kälte an, wie man sie häufig im Film Noir findet. Joseph Joanovici ist der einzige unter den Protagonisten der Kollaborationsgeschichten, der offensiv als Antiheld agiert. Die Geldgier dominiert seinen Charakter in einem Ausmass, dass die Liebesgeschichte zwischen ihm und seiner Frau Eva darüber zerbricht. Sie schimmert nur noch als Nachklang einer früheren Zeit durch, als Joanovici noch nicht der ständig gehetzte Auftraggeber von Killern und Vergewaltigern gewesen ist.

 

Besonders die kinematografische Panelstruktur fällt ins Auge. Nury und Vallée setzen oft einen Cinemascope-Effekt ein, indem sie die Höhe der Panels schmal halten, während die gesamte Seitenbreite ausfüllen. Solch ein «Breitwand-Panel» steckt buchstäblich den Horizont der Figuren ab. Durch die maximale Bildbreite kann das Bild einen Ausschnitt akzentuieren und gleichzeitig in seiner Umwelt verorten. Am Anfang seiner steilen Karriere fährt Joseph mit einer Zugkarre durch ein Brachland. Im Hintergrund rauchen Fabrikschlote. Erst durch die weite Perspektive zeigt sich, auf welch verlorenem Posten er in seiner Situation steht: Entfernt von den Quellen des Wohlstands, verloren auf einem Brachland, auf dem er Reste davon zu finden hofft.

 

Trotz seiner Skrupellosigkeit erscheint Joseph Joanovici ambivalent: Als Opfer des Antisemitismus eingeführt, verdient er zunächst allein als Überlebender unser Mitleid. Irgendwann fragt man sich als Leser aber, ob man sich mit einem Drahtzieher von Gewaltverbrechen identifizieren sollte, der auch noch seine grosse Liebe hintergeht. Dennoch gewinnt er immer wieder Züge von einem wohlwollenden Übervater, der sich um seine Leute kümmert. Die Loyalität, die er immer wieder gegen seine Mitarbeiter und seine Familie beweist, wirkt umso einnehmender für ihn, je mehr sich die Polizei als korrupt erweist.

 

Seine Zeit hat Joseph korrumpiert wie sie alle korrumpiert hat, so dass seine Kollaboration mit den Deutschen eine Überlebensstrategie wie viele andere ist. Wenn man in einem Dickicht von Intrigen und Verbrechen lebt, stirbt der bessere Teil des Menschen ab: Dieser Film Noir-typische Pessimismus durchzieht mit anderen filmischen Referenzen die ganze Serie. Sie bestimmen den Eindruck im ersten Band stärker als das zeitgeschichtliche Kolorit, obwohl die Figur von Monsieur Joseph auf einer historischen Person beruht.

 

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Erwachende Gefühle

Ein diametral entgegengesetztes Programm verfolgen Philippe Richelle und Jean-Michel Beuriot in ihrer Reihe «Amours Fragiles» (Zerbrechliche Liebe), die im Deutschen den brachialen Titel «Unter dem Hakenkreuz» (Schreiber&Leser) trägt. Für ihre achtteilige Serie über den Alltag um den Zweiten Weltkrieg herum haben sie eine immense dokumentarische Anstrengung unternommen. Ihre deutsch-französische Geschichte behandelt im Auftaktband «Der letzte Frühling» den Aufstieg des Nationalsozialismus. Daraufhin zeigt «Ein Sommer in Paris» das Leben deutscher Emigranten in Frankreich vor Kriegsbeginn und «Maria» den deutschen Widerstand während des Krieges. Der vierte Band «Katharina» handelt vom anwachsenden Antisemitismus unter dem Vichy-Regime. In den weiteren geplanten Bänden – der fünfte ist soeben auf Deutsch erschienen – werden Richelle und Beuriot vom französischen Widerstand, der Kollaboration und dem Holocaust berichten.

 

Um die Epoche in ihrer Komplexität verstehen zu können, arbeitete Philippe Richelle Archive durch, las die Untersuchungen von Historikern, Biografien und Zeitzeugenberichte. «Das sind die Quellen, aus denen das Szenario entstand. Meine eigene Erfahrung und meine Gespür für menschliche Beziehungen spielten allerdings auch eine Rolle. Fiktionale Werke, ob nun Bücher oder Filme, beeinflussten uns dagegen kaum. Wir finden ganz generell, dass sie Stereotype verbreiten, vorgefertigte Vorstellungen, die nicht unbedingt mit der Realität der Epoche übereinstimmen.» Auch für seine Serie «Opération Vent Printanier», in der sich eine Schülerin während der Besatzung mit einem deutschen Soldaten anfreundet, griff Philippe Richelle auf das geheime Tagebuch einer fünfzehnjährigen Schülerin zurück.

 

So entgegengesetzt das Herangehen an den historischen Stoff zwischen «Es war einmal in Frankreich» und «Unter dem Hakenkreuz» ist, so gegensätzlich treten jeweils die Helden auf. Martin Mahner ist ein Abiturient, dessen Persönlichkeit gerade heranreift. Er begreift sich als Schöngeist und will am Leben der intellektuellen Avantgarde teilnehmen. Auch in der Liebe weiss er, was er will: Auf den ersten Blick hat er sich in seine Nachbarin Katharina verliebt. Ungeschickt, wie er ist, bekommt Martin aber erst nach der Machtergreifung Hitlers die Gelegenheit, ihr näherzukommen, indem er sich öffentlich zu der Jüdin bekennt. Im Gegensatz zum auf Spannung angelegten Geschichte von Joseph dient als roter Faden hier die Liebesgeschichte, die sich über Jahre hinweg anbahnt. Martins Gefühlsleben entwickelt sich in einem historischen Ausnahmezustand.

 

Während die unterkühlte Farbgebung beim «Imperium des Monsieur Joseph», so der Titel des ersten Bands, ein Gefühl für die unwirtliche Zeit vermitteln soll, orientieren sich die Zeichnungen von Jean-Michel Beuriot daran, sich dem Alltag anzunähern. Da Martin die Lehrjahre des Gefühls durchlebt, verleiht Beuriot diesem Alltag einen dekorativen Reiz, den das Leben aus seiner Perspektive haben muss: ein Leben zwischen schönen Büchern und schönen Frauen. Der Einbruch der Nazis in diese elegante Welt wirkt wie ein permanenter Störfaktor. Sie verkörpern das Gegenteil von Martins Überzeugungen und werden immer präsenter. Die Gewalt, von der jeder in den Radionachrichten hört, kommt erst allmählich auch auf der Straße zum Vorschein. «Die Geschichte wirkt schliesslich umso erschreckender, da der Leser heute weiss, was noch alles von den Nazis kommen sollte.»

 

Martin fügt sich ins Unvermeidliche, um sich den Problemen seines Erwachsenwerdens zuwenden zu können. Seine Geschichte erzählt von der ganz gewöhnlichen Feigheit. Er ist noch nicht so selbstbewusst, dass er gegen die Ereignisse um sich herum laut protestieren würde, deshalb erduldet er sie. Philippe Richelle sieht zwischen dem politischen Widerstand und Martins Liebesgeschichte eine Gemeinsamkeit: «Die Umstände können zu Situationen führen, wo Abwarten nicht mehr möglich ist.» Der fatale Gang des Zeitgeschehens bringt aber Martin und Katharina erst zusammen. Bevor er seine Figuren zeichnete, las Jean-Michel Beuriot Bücher über die Liebe während des Krieges. «Überall lauerte der Tod, also wollten die Menschen sich unbedingt noch ausleben.» Die Gesichter sollten auch bei ihm diesen Lebenshunger ausdrücken.

 

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Zwangsrekrutierte Elsässer

Ebenso wie «Unter dem Hakenkreuz» geht «Malgré-nous» (Salleck) den historischen Stoff unter einem speziellen Gesichtspunkt an. Thierry Gloris erzählt vom Schicksal der Elsässer unter der deutschen Besatzung. «Malgré nous» bedeutet «gegen unseren Willen». Malgré-nous werden die Elsässer genannt, die seit 1942 zwangsweise in die Wehrmacht und die Waffen-SS eingezogen wurden. Als sie heimkehrten, wurden sie als Kollaborateure und Verräter beschimpft und angefeindet. Da die Elsässer deutsche und französische Wurzeln haben, stehen sie zwischen den feindlichen Lagern.

 

Wenn man nicht weiss, zu welcher Seite man gehört, verlieren die Worte Widerstand und Kollaboration ihren Sinn. Wie Martin Mahner trägt Louis Fisher ständig einen Konflikt mit seinem Vater aus. Während Martins Vater sich begeistert Hitlers Reden am Radio anhört, ist es dem Kriegsveteran im Gegensatz zu seinem Sohn egal, ob er sich zu Deutschland oder Frankreich bekennen soll. Er hat im Ersten Weltkrieg als Soldat des deutschen Kaiserreichs einen Arm verloren und im Zweiten Weltkrieg einen Sohn, der für die französische Armee kämpfte. Der Vater will keine weiteren Opfer mehr. Louis zeigt sich pubertär trotzig als glühender Franzose. Deshalb ist es für ihn ein Schock, dass seine Schwester sich mit einem deutschen Soldaten einlässt. Aber eine grausame Kindheitsgeschichte holt Louis wieder ein, so dass er sich entscheiden muss, ob er in die Wehrmacht eintritt oder seine Familie in ein Lager geschickt wird.

 

Marie Terray, deren erstes Album «Malgré-nous» ist, will genauso wie Jean-Michel Beuriot die Geschichte angemessen abbilden. Aus diesem Grund sind die Panels sind in beiden Comicserien sehr unauffällig angeordnet. Ihre Zeichnungen tauchen die Zeit in ein gelb-bräunliches Licht, so dass sie wie alte Fotografien anmuten. Bei den Liebesszenen gleiten sie in roséfarbenen Edelkitsch ab. Die persönliche Geschichte von Louis geht bislang neben den historischen Ereignissen her, statt mit ihnen verquickt zu sein. Die dramaturgischen Wendepunkte haben keine direkte historische Ursache, weshalb die Geschichtslektion recht aufgepfropft daherkommt. Zusammen mit den demonstrativen Posen der Figuren – gerade Louis tut sich da in seinem Pubertätsfuror hervor – versperrt die Dramaturgie den Blick auf die historische Situation der Elsässer eher, als sie nachvollziehbar zu machen.

 

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Cherchez la femme

Jean-Pierre Gibrats Reihen «Der Aufschub» und «Von Dieben und Denunzianten» (beide Salleck) verbinden die Frage «Wie hätte ich mich in dieser Situation verhalten?» eng mit der Liebesgeschichte. Die beiden Geschichten können einzeln gelesen werden, obwohl sie einander wie ein Diptychon ergänzen. Der Aufschub wird Julien gewährt, als er mit falschen Papieren ausgestattet von einem Zug nach Deutschland springt, der danach entgleist. Da die Polizei in dem Zug seine richtigen Papiere findet, gilt er fortan als tot. Er versteckt sich im Sommer 1943 in seinem Heimatdorf, um der Zwangsarbeit in Deutschland zu entgehen. Aus der verlassenen Wohnung des internierten Lehrers heraus beobachtet er das Leben auf dem Marktplatz und besonders seine Jugendliebe Cécile. «Der Aufschub» ist in einer Tagebuchform, nicht als Kriegsgeschichte geschrieben. Das Dorf ist kein Kriegsschauplatz, aber die Spannungen zwischen der Miliz und der Résistance nehmen zu.

 

Céciles Schwester Jeanne in «Von Dieben und Denunzianten» weckt das Gewissen in dem Berufsdieb François. Beide treffen sich in einem Pariser Gefängnis und können sich zuerst nicht ausstehen. Sie verachtet seinen Opportunismus, sie nervt ihn mit ihrer Hochnäsigkeit. Schliesslich finden sie doch noch zueinander, weil er ihr gegenüber Verantwortung entwickelt, die er zuvor mied. Die Frau berichtet in Briefen an ihre Schwester über ihr Gefühlsleben. «Von Dieben und Denunzianten» gewann 2006 in Angoulême den Preis für die besten Zeichnungen.

 

Die Gesichter bilden das visuelle Zentrum der Geschichten. Gibrat legt einen Lichteffekt auf die Züge seiner beiden Schönheiten, so dass die Bilder nicht selten weichzeichnerisch wirken. Schon in seinen Alben «Pinocchia» und «Marée basse» (dt. Verwandlungen) bewies Gibrat einen Hang zur Freizügigkeit, der auch hier in ziemlich schwülen Erotikszenen durchschimmert. Das Gesicht der kommunistischen Widerstandskämpferin Jeanne ist auf etlichen Seiten strahlend in der Mitte platziert. Im Kontrast zum weiblichen Ebenmass sind die Gesichter der anderen Figuren im Dienst des humorigen Szenarios oft karikaturistisch überzeichnet. Der Humor entwickelt sich aus der Situation, in der sich die männlichen Helden befinden: Sie warten das Ende der Besatzung ab und arrangieren sich derweil mit den Verhältnissen. Umso grösser trifft den Leser der Schock, wenn die Gewalt des Krieges einmal sichtbar in den Alltag einbricht.

 

Mit «Unter dem Hakenkreuz» und «Malgré-nous» haben die Reihen von Gibrat gemeinsam, dass die Bilder einen realistischen Eindruck von der Zeit vermitteln sollen. Gibrat griff vor allem auf Fotos zurück, um die damalige Atmosphäre einzufangen, womit er auch die dauernde Präsenz von Brauntönen erklärt. Trotzdem ist er es, der das weiteste Spektrum an Farben verwendete, warum die Bilder trotz der überhöhten Schönheit seiner Heldinnen und dem pittoresk verklärten Bild Frankreichs am zeitgetreusten erscheinen. Wie Richelle und Beuriot wollte Gibrat es vermeiden, filmische Klischees zu reproduzieren. Dennoch weisen seine Bände zusammen mit «Es war einmal in Frankreich» die grössten unterhaltenden Qualitäten auf. Richelle und Gloris ordnen sie ihren historisierenden Szenarien unter. Letztendlich sorgt aber Julien (nicht Cécile oder Jeanne) für das schönste Bild für die Zeit zwischen Kollaboration und Widerstand: das eigentliche Leben steht im Wartestand.

 

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Waldemar Kesler, im Januar 2012

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