Freddy Lombard Gesamtausgabe

Der geniale Imitator und Erneuerer

Zum 20. Todestag von Yves Chaland legt die Zack-Edition zum ersten Mal den kompletten «Freddy Lombard» in einer Edition vor. Dabei kommt einmal mehr die Komplexität und Heterogenität der Serie zum Vorschein.

Yves Chaland wurde am 3. März 1957 in Lyon geboren. Nur wenig mehr als 33 Jahre blieben dem talentierten Künstler, um einer der innovativsten und vielversprechenden Zeichner seines Landes zu werden, bevor er am 18. Juli 1990 bei einem Autounfall sein Leben verlor.

 

Die Künstler Maurice Tillieux (Zeichner von «Gil Jourdan», «Felix») und Joseph Gillian (Zeichner von «Jean Valhardi», «Jerry Spring») – neben André Franquin die bedeutendsten Vertreter der Marcinelle-Schule, wie der im Umfeld des Magazins «Spirou» entstandene Stil heute genannt wird – hatten sehr grossen Einfluss auf Yves Chaland und stellten wichtige Stationen in der Entwicklung seines eigenen Stils dar. Dieser präsentierte bereits in frühen Arbeiten einen enormen Ideenreichtum und entpuppte sich als grossartiger Imitator verschiedenster Zeichenstile.

 

Noch während der Publikation von «Bob Fish» in «Métal hurlant» begann Chaland mit den ersten Seiten einer neuen Serie: «Freddy Lombard: Das Testament von Gottfried von Bouillon» sollte die Geschichte heissen. Chaland bemühte sich, die Handlung einfach und spannend zu halten, da es eine Auftragsarbeit war für ein Jugendmagazin aus den Niederlanden. Doch er hatte Pech: Der Redaktion von «Eppo» erschien die Geschichte zu schwierig und vor allem zu gewalttätig, und so blieb dem jungen Zeichner nichts anderes übrig, als sie dem Verlag Magic Strip in Brüssel anzubieten. Die Verleger entschlossen sich zur Gründung einer neuen Albenreihe, die dem Ambiente der veröffentlichten Comics entsprechen und ein Zeichen für junge unabhängige Comic-Künstler setzen sollte: Atomium 58. Band 1 und 2 dieser Reihe stammten von Luc Cornillon, einem alten Weggefährten, und Yves Chaland. Noch heute erscheint Atomium 58 in mehreren europäischen Ländern im Kleinformat in Hardcover und Halbleinen und einem konstant gebliebenen Umfang von 32 zweifarbigen Seiten.

Der erste Band «Das Testament des Gottfried von Bouillon» (auf Deutsch in der Reihe Atomium bei Becker und Knigge, im Feest-Verlag und bei Schreiber und Leser) war bestimmt von der Rückbesinnung auf die klare Linie und dem experimentellen Format der Atomium-58-Reihe. Im zweiten Album «Der Elefanten-Friedhof» wurden erstmals Klischees der Fünfzigerjahre und der Comics allgemein verarbeitet. In einer Hommage an die Altmeister der Zunft persiflierte Chaland das goldene Zeitalter des Comics.

 

Der Folgeband «Der Komet von Karthago» verwirrte den Leser durch eine komplexe Story um unerfüllte Liebe und die damit einhergehenden Seelenschmerzen. Gekonnt trieb Chaland das Experiment mit Alpträumen im alten Karthago und ebenso bizarren Gestalten von heute auf die Spitze. Gleichzeitig fragte man sich: Wer hat das Mädchen ermordet? Warum kratzte Phidias die Gesichter seiner Modelle von den Fotos? Auch hier spielte Chaland mit Vorurteilen und Klischees. Mit diesem Album teilte sich auch seine Leserschaft in zwei Lager. Zum einen in die das von diesem Konzept überforderten Leser, zum anderen in das der absoluten Fans, für die sich mit diesem Album der Genius des Meisters voll offenbart hatte und die ihm für einen der schönsten Comics überhaupt dankten.

 

Das vierte Album «Ferien in Budapest» erzählte eine klassische Story, war aber aufgrund der verarbeiteten politischen Aspekte sehr komplex. Um den Leser weiter zu verwirren, hatte Chaland das Aussehen seines Helden komplett verändert. Freddy Lombard erschien ohne die typische Frisur mit Brille, zudem war er nicht mehr der eigentliche Held oder Antiheld der Geschichte. Im letzten Band der Reihe «F-52» wurde durch die Problematisierung der Beziehung einzelner gesellschaftlicher Schichten zueinander und deren Verhalten gegenüber einem mongoloiden Kind erneut die traditionelle Bandbreite des Mediums erweitert.

 

Gesammelt in zwei Bänden mit Spotlackierung, in einem edlen Schuber, ist die Auflage auf 1000 Exemplare limitiert. Neben den fünf bekannten Alben beinhaltet die Gesamtausgabe (zirka 76 Franken) auch ein knapp 30-seitiges Dossier mit Skizzen, Illustrationen und Anmerkungen.

 

Urs Freitag, im September 2010

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