Fables

Die Märchenfiguren sind mitten unter uns

Was wäre wenn? Dieser immer wieder faszinierenden Frage geht auch die Serie «Fables» (Panini Verlag, zirka 25 Franken bzw. 20 Euro je Band) nach. Den Ausgangspunkt bilden die bekannten Märchenfiguren wie Schneewittchen und der grosse böse Wolf, die im heutigen New York Fuss zu fassen versuchen. Denn eine dunkle Macht hat das Märchenreich angegriffen und hält dieses noch immer besetzt. Hin und her gerissen zwischen Heimweh und den Chancen, welche die neue Umgebung bietet, geben die Märchenhelden ihr Bestes, um unentdeckt in der Gesellschaft der Menschen weiterzuleben.

Schneewittchen als Heldin

Mit der Flucht aus ihrer simplen Welt, in der Gut und Böse klar unterschieden werden können, verändert sich auch der Charakter der Märchenfiguren: Sie gewinnen an Tiefe. Schneewittchen etwa hat als eine Art Autorität über das Märchenkollektiv alle Hände voll zu tun und kümmert sich unter anderem als Friedensrichterin um Ehestreitigkeiten zwischen der Schönen und dem Biest. Zudem muss sie sicherstellen, dass alle Märchenfiguren, die keine menschliche Gestalt haben und somit nicht unter Menschen können, wie etwa die drei kleinen Schweinchen, auf ihrer Farm ausserhalb der Stadt bleiben und kein Aufsehen erregen.

 

Neben der beruflichen Überbelastung hat sie auch private Probleme: So stellt sich heraus, dass das märchenhafte Ende mit ihrem Prinz zu gut war, um wahr zu sein. Schneewittchen lässt sich scheiden, als sie herausfindet, dass ihr Liebster ein notorischer Frauenheld ist. Dieser wiederum schlägt sich nun durchs Leben, indem er New Yorker Frauen bezirzt und ausnimmt. Doch es gibt auch positive Ausnahmen: So hat es der grosse böse Wolf geschafft, menschliche Gestalt anzunehmen, und hat die Seiten gewechselt. Unter den misstrauischen Blicken der anderen Märchenfiguren fungiert er nun als Polizist der Gemeinschaft.

16 Bände

Der Comic des US-Autors Bill Willingham und des britischen Zeichners Mark Buckingham wurde mit vielen Eisner-Awards, dem Oscar der Comic-Branche, ausgezeichnet. «Fables» ist auf 16 Bände ausgelegt und soll in der englischen Originalversion noch in diesem Jahr beendet werden. Auf Deutsch ist vor kurzem der 13. Band erschienen. Den Erfolg der Serie belegen auch die vielen Spin-Offs von «Fables». Die bekannteste, «Jack of Fables», erscheint auch auf Deutsch und folgt den Abenteuern des Protagonisten, den wir aus dem Märchen «Hans und die Bohnenranke» kennen. Der Antiheld hat ein Vermögen gemacht, indem er die Verfilmungsrechte seiner Abenteuer an Hollywood verkauft hat. Mit dem Geld muss er jedoch flüchten, da die anderen Märchenfiguren ihm vorwerfen, dass er ihre Enthüllung riskiert.

Wiedersehen auf Augenhöhe

Auch grafisch lässt sich «Fables» sehen: Buckinghams klarer Strich und die überlappenden Bildfolgen sowie unregelmässigen Bildgrössen verleihen der Serie eine spezielle Dynamik. Diese wird durch die satte, abwechslungsreiche Farbgebung perfekt ergänzt. Bemerkenswert ist ebenfalls, wie mit kleinen Details die märchenhafte Atmosphäre inszeniert wird. So beginnt jedes Kapitel analog zu älteren Märchenbüchern mit einer kurzen Einleitung, in der erklärt wird, was den Figuren alles bevorsteht. Gelungen sind auch die sporadischen Verbindungen zur arabischen Märchenwelt aus 1001 Nacht. Die Faszination von «Fables» besteht darin, dass man als Erwachsener den Figuren auf Augenhöhe wiederbegegnen und diese neu kennen lernen kann.

Sasa Rasic, im Juli 2011

(zuerst erschienen in der «Neue Luzerner Zeitung»)

 

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