Chew – Bulle mit Biss 1

Der Geschmacksfluch

Nachdem «The Walking Dead» seit einigen Folgen dramaturgisch auf der Stelle tritt, ist John Laymans «Chew» zurzeit eindeutig die spannendste Comicserie aus dem Hause Cross Cult.

Für Geschmackstelepathen wie Tony Chu gibt es kein Verdrängen. Er ist in der unangenehmen Lage, dass ihm sein Gaumen immer Visionen von der Herkunft seines Essens auslöst. Beisst er in einen Apfel, bekommt er ein Gefühl dafür, welches Pestizid an seiner Schale klebte. Seine Erlösung ist die Restauranttesterin Amelia Mintz. Sie vermag Essen so zu beschreiben, dass ihre Leser das Geschmackserlebnis in allen Feinheiten tatsächlich haben. Amelia Mintz überträgt als «Saboskripterin» Geschmack in Worte. Seit einiger Zeit schreibt sie nur noch über Restaurants, die das Gesundheitsamt als bedenklich oder schlechter eingestuft hat. Seitdem bricht unter den Lesern der Morgenzeitung eine kollektive Übelkeit aus. Tony Chu aber liebt sie, weil er dank ihr schmeckt, worüber er liest. Und das, ohne dabei gleich den Hergang eines Verbrechens sehen zu müssen.

 

Der Spass bei «Chew – Bulle mit Biss» (Cross Cult, zirka 17 Euro/24 Franken) besteht darin, sich seinem Ekel der Sache gegenüberzustellen. Die Bilder triefen von ranzigem Fett und abscheulich schleimigen Flüssigkeitsfäden. Der Sehsinn hat auszubaden, dass von unserem Gaumen potenziell immer Gefahr ausgeht. Das Missverhältnis setzt sich bei den Körpern fort: Krankhaft geblähte Bäuche stecken auf staksigen Beinen, der Anblick erweckt die Vorstellung, als ob das Fleisch der Figuren auf bizarren Klötzchen ruhen würde. Auch die Farben wirken angekränkelt. Das Licht in der Welt von Chew ist ebenso fahl wie die Haut der Menschen. Ihre gräuliche bis gelbliche Blässe sticht gegen das grelle Grün oder Rot der unappetitlichen Details ab.

«Chew» war von allen Grossverlagen abgelehnt worden, so dass John Layman sie bei Image herausbrachte, wo Autoren die Copyrights zu ihren Figuren nicht an den Verlag abtreten müssen. Der Autor behält alle kreativen Freiheiten. Chew gelangte auf die Comic-Bestsellerliste der NY Times. 2010 bekamen John Layman und sein Zeichner Rob Guillory sowohl den Harvey- als auch den Eisner-Award als «Beste neue Serie». Wie nach dem Erfolg von «The Walking Dead» bringt der Kabelkanal AMC eine Fernsehserie heraus.

 

Der Zeichner Rob Guillory wurde für «Chew» im letzten Jahr als «Bestes neues Talent» mit dem Harvey-Award ausgezeichnet. Es ist schwer vorzustellen, wie die Fernsehserie den karikaturhaft verformenden Stil Guillorys übertragen oder ersetzen will. Seine Seiten ordnet er nach starken Bildmotiven oder -momenten an. Die Bilderrahmen sind also immer so gesetzt, wie die Gestaltung der Hauptmotive es nahelegt. Mit seinen spielerischen Zeichnungen sorgt er für den ästhetischen Puffer, der die hässlichen Dinge, die in Chew geschehen, witzig aussehen lässt.

 

Waldemar Kesler, im Februar 2011

 

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