Wie Comics erzählen

Mammutanalyse zur neunten Kunst

Martin Schüwer enwickelt auf einem halben tausend Seiten eine komplexe Comic-Erzähltheorie. Für die nicht avisierte nicht-akademische Leserschaft dürfte sich vor allem eine Handvoll Seiten im Schlussteil mehr als lohnen.

Eins vorweg: Bei «Wie Comics erzählen – Grundriss einer intermedialen Erzähltheorie der grafischen Literatur» handelt es sich, wie der Titel vermuten lässt, um ein im wissenschaftlichen Diskurs verankertes Sekundärwerk über Comics (Wissenschaftlicher Verlag Trier, zirka 102 Franken). Martin Schüwer hat sich in seiner über 500 Seiten starken Arbeit das ambitiöse Ziel gesetzt, «die erzählerischen Mittel der Comics erzähltheoretisch zu erschliessen», um das «analytische Werkzeug» für Folgeuntersuchungen zu liefern.

 

Am Rand anderer Disziplinen
Dies vor dem Hintergrund des Postulats eines Fehlens einer wirklichen Comic-Forschung: «Die Erforschung der Comics führt mehr oder weniger eine Existenz am Rand der verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen einerseits und der Verlags- und Fanmessen andererseits. In Deutschland war die Comic-Forschung daneben lange Jahre eine Domäne der Deutschdidaktik.»

 

Schüwer gelingt es denn auch auf hohem Niveau, die besagten Rüstzeuge und Kategorien zu erarbeiten und zur Diskussion zu stellen – die Studie ist jedoch selbst für den Fachkundigen nicht immer einfach zu verstehen, zumal sich der Autor regelmässig auf das bereits für sich anspruchsvolle Werk des Filmtheoretikers Gilles Deleuze stützt. Die Anforderungen ans Comic-Wissen des Lesers werden dabei ungleich tiefer gesetzt als diejenigen an sein Theorie-Wissen. Ein Austarieren hätte hier Wunder bewirkt.

 

Sonderfall Japan?
Positiv, sinnvoll und auch zwingend notwendig ist die Einbindung zahlreicher Bildbeispiele, die jedoch einerseits grossanteilig aus dem angloamerikanischen Bereich, anderseits beinahe ausnahmslos aus bekannten und anerkannten «Kunst-Comics» wie etwa «Watchmen», «Maus» oder «Acme Novelty Library» stammen. Dies scheint einerseits zu implizieren, dass etwa Manga über keine spezifische Semantik verfügen (obgleich sie doch einer ganz anderen Tradition als US-Comics entstammen) und andererseits, dass sich in strikt am Rentabilitätsgrad orientierenden Comics keine kunstfertige und beachtenswerte Erzähltechnik fände. Wie auch immer.

Herzstück des Schlussteils bildet eine grandiose Mikroanalyse einer (!) Seite von Frank Millers Über-Werk «Die Rückkehr des dunklen Ritters», mittels der zum einen die Tauglichkeit des erarbeiteten Theoriegebäudes aufgezeigt und mit der zum anderen die hohe Kompetenz Schüwers im Bereich der konkreten Werkbetrachtung sichtbar wird.

 

Wert der Graphic Novels
Dieser stellt zusammenfassend fest, dass «im Medium des Comics Erzählkunst entstanden ist, deren Anspruch nicht hinter dem schriftlicher Erzählwerke zurücksteht. Intensive Einzelwerkanalysen können somit künstlerische Visionen der Welt erschliessen, die bisher in ihrer Bedeutung nicht erkannt worden sind» – viele grundlegende Texte zu den Comics seien also noch zu schreiben. Abschliessend bleibt dem Autor ironischerweise nichts anderes übrig, als auf Kosten der Theorie zu konstatieren: «Auf keinen Fall sollte die vorgelegte Untersuchung so verstanden werden, dass sie einen emotionaleren, unmittelbar auf die ästhetische Seite von Comics ausgerichteten Zugang entwerten wollte. Ganz im Gegenteil lassen sich spontane und reflektierte Facetten der Rezeption als einander ergänzende Komponenten verstehen.»

 

Dave Schläpfer, im Dezember 2008

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