Avant Verlagsschau

Schöne Bücher

Der Berliner Comic-Verlag Avant feiert in diesem Jahr sein zehnjähriges Bestehen. Von Beginn an widmete er sich gleichermassen renommierten wie noch zu entdeckenden internationalen Künstlern.

Mit seinem Film über Serge Gainsbourg ist Joann Sfar im vergangenen Jahr einem breiten Publikum bekannt geworden. Seit langer Zeit verlegt Johann Ulrich dessen Comics für deutschsprachige Leser. Soeben ist der dritte Teil der Reihe «Klezmer» (zirka 20 Euro/32 Franken, Leseprobe ») erschienen, in der Joann Sfar eine Gruppe von jüdischen Musikern begleitet, die ein so freies Leben wie möglich führen wollen. Sie finden auf der Flucht auf ihrer Wanderschaft zueinander. Die Abenteuer des brutalen Lebens in der russischen Steppe wechseln sich ab mit der Daseinsfreude im Zeichen der Musik. Sfar bedient sich beim Zeichnen einer Aquarelltechnik, bei der er die Farbe unabhängig von den Konturen aufträgt. Ihm geht es um einen möglichst starken und freien Ausdruck seiner Bilder. Seine gezeichneten Improvisationen bringen die Farben zum Tanzen.

In «Peplum» (zirka 25 Euro/40 Franken, Leseprobe »), einer opulenten weiteren Neuerscheinung, lässt der französische Autor und Zeichner Blutch einen jungen Mann zu Zeiten des Römischen Reichs nach seinem Schönheitsideal suchen. Er entgeht immer wieder dem Tod, um an der Seite einer eingefrorenen Statue bleiben zu können. Blutch karikiert in seinen Comics sonst kleine und grosse Eitelkeiten und Verhaltensschwächen. Hier verzichtet er auf einen humoristischen Ton. In expressiven Schwarzweiss-Bildern behandelt er eine große Frage: Wie weit kann und soll man für Schönheit gehen?

Unter den internationalen Grössen der Comicszene führt David B. im deutschsprachigen Raum leider ein Schattendasein. Seine Bücher sind von Traum- und Alptraumgestalten bevölkert. In «Auf dunklen Wegen» (zirka 25 Euro/40 Franken, Leseprobe ») nimmt er sich auf seine träumerische Art einem historischen Stoff an. Nach dem Ersten Weltkrieg besetzt eine Freischärlertruppe unter der Führung des Dichters Gabriele D'Annunzio die italienische Hafenstadt Fiume. Sie trotzt monatelang der alliierten Belagerung. Gauner, Dichter, Anarchisten, Sozialisten, Faschisten und Futuristen versammeln sich in diesen Tagen, um revolutionäre Luft zu atmen. Ein melancholischer Ex-Soldat erfährt, wie nahe Aufbruch und Tod beieinander liegen. Niemand anderem als David B. gelingt es, Realität und Geisterwelt in einer einzigartigen Bildsprache miteinander zu konfrontieren.

Neben schon bekannten Namen publiziert Avant regelmäßig Werke von Zeichnern und Autoren, die es noch zu entdecken gilt. Wie David B. begeben sich die beiden Schweizer Pierre Wazem und Pierre Tirabosco in «Das Ende der Welt» (zirka 18 Euro/32 Franken, Leseprobe ») in eine Welt zwischen Leben und Tod. Als ob die Welt unterginge, zerfliesst alles in einem gewaltigen Regenguss: Eine junge Frau muss ihre tragische Familiengeschichte aufarbeiten, damit in ihrer fantastischen Welt die Sonne wieder scheinen kann. Die verwischten Konturen sorgen dafür, dass der Leser in die schlafwandelnde Perspektive der Heldin eintaucht. Sie bewegt sich durch ein nächtliches Blau voller Melancholie.

Während hier wundervoll fliessende Linien den Eindruck prägen, erzählt Ulli Lust in «Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens» (zirka 30 Euro/48 Franken), Leseprobe ») mit dem wilden Strich von Underground-Comics die Geschichte zweier Punkmädchen. Die in Berlin lebende Österreicherin war bis zu ihrem sehr humorigen Epos über persönliche Freiheit vor allem durch Szenereportagen aufgefallen. Für den Band erhielt sie 2010 den ICOM-Preis als beste deutsche Publikation und den Publikumspreis des Erlanger Comicsalons.

 

Den Veröffentlichungen des Avant-Verlags ist eines gemeinsam: Die Leser sollen die schönen Bilder der Künstler auf den Seiten schöner Bücher entdecken. Nicht nur dank der Künstler gelingt es ihm immer wieder.

 

Waldemar Kesler, im Februar 2011 (zuerst erschienen in der «Neue Luzerner Zeitung»)

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