Kirkman: The Walking Dead

Zombie-Odyssee

Wer kennt es nicht, das irgendwie unbefriedigende Gefühl nach dem Konsum von Horrorfilmen, die nur zu oft mit Enden aufhören, die eigentlich gar keine sind - und sich damit alle Optionen für oftmals miserable Sequele offenlassend. Der noch nicht abgeschlossene Comic-Zyklus "The Walking Dead" möchte diesen Missstand beheben und startet sinngemäss dort, wo etwa David Lynchs verstörendes B-Movie "Parasitenmörder" (1975) aufhört, nämlich damit, dass die Zombie-Invasion bereits da ist. Ohne wenn und aber. Woher die Zombies kommen: egal. Was sie wollen - einmal von ihren kannibalistischen Neigungen abgesehen: nebensächlich.

 

Hardcore-Existenzialismus
Im Vergleich zu den Untoten des Zombiefilm-Altmeisters George A. Romero (Regisseur der Genre-Referenz "Die Nacht der lebenden Toten" von 1968) sind diejenigen aus der Serie des amerikanischen Autorenduos Robert Kirkmann und Tony Moore tatsächlich ziemlich hirnlos geraten. So stehen denn auch nicht etwa die Zombies, sondern eine Handvoll überlebender Menschen im Fokus. Ähnlich wie etwa beim klaustrophobischen Sci-Fi-Thriller "Cube" (1997) wird der existenzialistischen Frage nachgegangen, wie aufeinander zwingend angewiesene Menschen in Extremsituationen reagieren. Dies wird in realistischem Zeichenstil mit Grauton-Einfärbung am Schicksal des Kleinstadtpolizisten Rick Grimes und seiner Familie, die sich - verbarrikadiert in den Wäldern - in der neuen Untoten-Weltordnung zurechtfinden muss, exemplarisch und drastisch aufgezeigt.

Rousseau-Einsprengsel
Wie der Einband-Text suggeriert, fungiert dabei als gesellschaftskritische Überhöhung ganz nach der Direktive Romeros eine Zurück-zu-den-Ursprüngen-Mentalität: "In einer Welt, die von den Toten regiert wird, sind wir gezwungen, endlich unser Leben selber in die Hand zu nehmen." Gemäss dieser keineswegs neuen Maxime findet der als Naturwesen gedachte Mensch erst wieder zu sich selber, kann erst wieder sich und nur sich sein, wenn er auf die technologischen Errungenschaften und den Luxus des modernen Lebens verzichtet. Erst durch das Durchbrechen des arbeitsteiligen Systems - man erinnere sich an dieser Stelle an Adornos/Horkheimers Odysseus-Ausführung in ihrer "Dialektik der Aufklärung" (1947) - der industriellen Gesellschaft, also durch das angesprochene "selber in die Hand nehmen", sei ein Zurückkommen zu einer idealisierten "Ganzheit" möglich.

 

Die Anlage der tatsächlichen Geschichte ist jedoch eklatant anders: Grimes und die anderen Überlebenden wurden in die Situation des Insulaners gedrängt und haben sie nicht bewusst gesucht. Entsprechend schnell kommt es zu Spannungen und Aggressionen innerhalb der Gruppe - während rundherum das Zombie-Chaos tobt. Das Projekt der Aufklärung und der Rousseau`schen Naturparadiese scheint damit letztlich endgültig zum Scheitern verurteilt. Die dramaturgische Komposition des ersten Bandes mit seiner Spiralbewegung der Gewalt lässt erahnen, dass der Unterschied zwischen Mensch und Zombie im weiteren Verlauf des Plots - vom Sympathieträger Grimes einmal abgesehen - wohl bald gar nicht mehr allzu gross sein dürfte...

 

Wie sämtliche Comics aus dem aufstrebenden Verlagshaus Cross Cult (Herausgeber von u.a. Frank Millers "Sin City" und Mike Magnolias "Hellboy") kommen auch die Teile der "Walking Dead"-Serie als bibliophile Hardcover-Bände mit grosszügigen Extras (ausgiebige Interviews, Notiz zum Zombie-Genre) heraus (je zirka 36 Franken).

 

Dave Schläpfer, im April 2006

 

Bereits im Handel erhältlich: Band 1 "Gute alte Zeit" (zirka 26 Franken). Band 2 "Ein langer Weg" und Band 3 "Die Zuflucht" folgen im Juni 2006 respektive 2007. Empfohlen ab 16 Jahren.

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